Der „Milchmann“ des 21. Jahrhunderts: kostengünstig und umweltschonend

Interview mit Frederic Knaudt aus dem Gründerteam von Picnic in Deutschland

Noch vor 30 Jahren gehörte der Besuch des Milchmanns oder der Milchfrau fest zum Alltag der meisten europäischen Haushalte. Zwar hat sich das Einkaufsverhalten seither sehr stark geändert – doch die zugrunde liegende Idee ist heutzutage wieder hochrelevant.

Wie der Onlinesupermarkt Picnic das Prinzip erfolgreich in das 21. Jahrhundert übertragen hat und welche Rolle dabei eine neue Immobilie in Mülheim an der Ruhr spielt, erläutert Frederic Knaudt im Exklusivinterview.

Herr Knaudt, wie kam Picnic auf die Idee, das Prinzip des Milchmanns wiederzubeleben?

Wir haben uns intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, warum so wenige Menschen ihre Lebensmittel online bestellen, zum Beispiel im Unterschied zu Kleidung oder Elektronik. Lebensmittel waren das einzige Onlinesegment, bei dem es für mich als Verbraucher teurer ist, mir meine Einkäufe nach Hause liefern zu lassen im Vergleich zum stationären Einkauf. Gründe dafür sind niedrige Margen und hoher Logistikaufwand – insbesondere in der letzten Meile. Wir haben also zunächst damit begonnen, eine maximal effiziente Lieferkette zu entwickeln, die wir dann mit moderner Technologie gekoppelt haben. Der Milchmann hat uns inspiriert bei der Entwicklung unseres Lieferalgorithmus. Wir bündeln unsere Auslieferungen in jeder Nachbarschaft so, dass wir lediglich einmal am Tag in jede Straße fahren, Fahrtwege einsparen und ein Fahrer bis zu 10 Haushalte pro Stunde beliefern kann. So haben wir eine kostengünstigere und umweltschonendere Alternative zu anderen Lieferdiensten gefunden.

Wie funktioniert das Modell bei Ihnen denn genau?

Indem wir täglich zu festen Uhrzeiten in den jeweiligen Straßen sind, können wir unserer Kundschaft Lebensmittel zu Discounterpreisen und ohne Liefergebühr anbieten. Die Uhrzeiten variieren je nach Wochentag. So kann jeder Kunde und jede Kundin sich den optimalen Wochentag aussuchen. Sie können am Vortag bis 22 Uhr online bestellen und erhalten ihre Ware direkt an die Haustür. Oder im Logistikjargon: Das Milchmann-Prinzip ermöglicht uns exzellente Cut-off-Zeiten. Auch für uns ist das ökonomischer, denn wir können beispielsweise unserer lokalen Bäckerei am Abend zuvor genau sagen, wie viele Brote am nächsten Tag benötigt werden. Es wird also keine Frischware auf Verdacht produziert und anschließend weggeworfen.

Wie organisieren Sie dafür die Belieferung der letzten Meile?

Bei Picnic setzen wir auf zwei Arten von Flächen: Zum einen große Fulfillment-Center, in denen die Waren angeliefert, gelagert und kommissioniert werden. Von dort aus werden die einzelnen Sendungen zu unseren City-Hubs geliefert. Anschließend bringen unsere selbst entwickelten Elektro-Vans die Einkäufe klimaschonend zur Kundin oder zum Kunden. Wir reduzieren auch den Individualverkehr, da die Kundin oder der Kunde ansonsten das Auto benutzen würde.

In der Neustadtstraße in Mülheim an der Ruhr entwickelt Aurelis nun eine 16.980 Quadratmeter große Immobilie. Was wird auf diesen Flächen geschehen?

Tatsächlich handelt es sich um unsere größte und vielseitigste Immobilie in ganz Deutschland. Wir werden dort ein Fulfillment-Center betreiben, in dem insgesamt 500 Mitarbeitende in zwei Schichten ein Warenangebot bestehend aus mehr als 10.000 Artikeln managen. Von der Neustadtstraße aus werden wir also unsere City-Hubs im ganzen Ruhrgebiet ansteuern. Gleichzeitig planen wir an dem Standort auch selbst ein City-Hub, von dem aus unsere Elektro-Vans die Haushalte in Mülheim direkt beliefern. Darüber hinaus sind Flächen für ein Distributionscenter vorgesehen. Dort sollen Waren mit längerer Lagerzeit deponiert werden, also beispielsweise unsere Weihnachtsartikel. Zudem gibt es Flächen für den Backoffice-Bereich und für unsere Operationseinheit. Wichtig ist uns, dass sich unsere Beschäftigten wohlfühlen und leiblich stärken können. Daher ist eine Kantine für das Gelände geplant, in der sie sich kostenlos mit Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie Kaffee und Snacks versorgen können.

In der Neustadtstraße in Mülheim an der Ruhr wird Picnic zukünftig ein Fulfillment-Center betreiben

War diese Vielseitigkeit auch ein Grund, warum Sie Ihre Immobilie als Built-to-Suit-Projekt von Aurelis entwickeln lassen, anstatt eine bestehende Fläche anzumieten?

Ja, genau. Insgesamt vereinen wir sechs unterschiedliche Flächentypen auf dem Areal. Das ist mit einer Standardimmobilie nicht machbar, mag sie auch noch so flexibel sein. Auch die Andienung mit Lkw für den Fulfillment-Bereich und Elektro-Vans für das Hub erforderte ein komplexes individuelles Konzept. Für uns war aber auch die zentrale Lage des Grundstücks in direkter Nähe zur Bundesstraße B 223 sowie zur Autobahn A 40 und zur S-Bahn entscheidend. Nicht zuletzt deshalb, damit auch unsere Mitarbeitenden einen unkomplizierten Arbeitsweg haben. Unsere Entscheidung, ein Built-to-Suit-Projekt umzusetzen, war goldrichtig, wie sich bereits jetzt zeigt. Zumal wir mit Aurelis einen Partner gefunden haben, mit dem wir noch viele weitere Projekte in Angriff nehmen wollen.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

2018 haben wir die ersten Kundinnen und Kunden in Kaarst bei Neuss aus einem Standort bedient. Heute beschäftigen wir bereits über 3.000 Mitarbeitende an 30 Standorten in NRW. Dennoch sind wir erst am Anfang. Wir werden in ganz Deutschland unsere nachhaltige Food-Supply-Chain ausbauen, um so vielen Menschen wie möglich mit Picnic ihren Alltag zu erleichtern.