Nachhaltige Logistik ist keine Kür mehr – sondern Pflicht

Beitrag von Dr. Alexander Nehm, DHBW Mannheim

Unterbrochene Lieferketten und steigende Transportkosten, sinkende Margen, die Energiewende und neue Auflagen für Nutzer und Vermieter – warum dieser Marktcocktail dafür sorgt, dass ESG für Logistikimmobilien längst kein Luxusthema mehr ist, beantwortet Professor Dr. Alexander Nehm, der an der DHBW Mannheim zu den Themen „Spedition, Transport und Logistik“ forscht und lehrt.

Was wir in den vergangenen zwei Jahren im Segment der Logistikimmobilien erlebt haben, war abseits der Norm – wenn nicht gar ein wenig verrückt. Hallen, die vor zehn Jahren Ladenhüter waren, wurden mitunter zum Faktor 30 gehandelt. Teile des Markts waren deutlich überhitzt. Beinahe hatte es den Anschein, als wüssten Investoren nicht so recht, was sie mit ihrem überschüssigen Kapital anfangen sollen. Sie kauften teilweise ohne das notwendige Verständnis der Logistikbranche einfach an. Natürlich sind bei Weitem nicht alle Akteure so vorgegangen, aber der zusätzliche Nachfrageschub hat die Ankaufspreise in die Höhe klettern lassen.

Inzwischen herrscht vor allem auf dem Investmentmarkt je nach Sichtweise eher Zurückhaltung bis Katerstimmung. Einer der Auslöser ist sicherlich, dass zurzeit eine Vielzahl der wirtschaftlichen und politischen Krisenfaktoren für ein höheres Risiko sorgt. Investoren mögen es gar nicht, wenn Sie es nicht vernünftig einschätzen können. Die Folge ist Zurückhaltung.

Der Nutzermarkt hingegen, sprich die Mieter von Logistikimmobilien aus Industrie, Handel oder Logistikdienstleistung, boomt weiterhin kräftig. Dies hat wiederum unterschiedliche Gründe: Neben dem Aufbau von E-Commerce-Kapazitäten des (bisher stationären) Einzelhandels oder neuen Playern sorgt auch die Mobilitätswende in der Automotivebranche zurzeit für verstärkte Nachfrage nach Logistikflächen. Hier muss auf dem Weg zur E-Mobilität zwangsläufig vorerst zweigleisig gefahren werden, was für Logistikflächen eine zunächst erhöhte Nachfrage bedeutet. Ein weiterer Wachstumsfaktor ist der Aufbau von Pufferlägern infolge der unterbrochenen Lieferketten durch Corona-Lockdowns oder den Krieg in der Ukraine. Hier bauen global agierende Unternehmen Sicherheitsbestände auf, um Unterbrechungen der Supply-Chains besser abfedern zu können.

Dementsprechend kann also nicht vom Ende der Erfolgsstory die Rede sein. Vielmehr heißt es für den Markt in einigen Bereichen eher „zurück zur Normalität“ hinsichtlich der Renditen und der Transaktionstätigkeit.

Was sich jedoch zunehmend verändert, sind die Anforderungen an die Immobilie selbst. Dies gilt für den Bereich der Gebäudetechnik ebenso wie für stärker werdendes Anspruchsdenken in Bezug auf das Gebäudedesign beziehungsweise die -architektur. Die Energiekrise befeuert zusätzlich akut die Umsetzung diesbezüglicher Gebäudemaßnahmen. Letztlich professionalisieren sich viele Unternehmen in Bezug auf das Themenfeld. Darin liegt ein zentraler Erfolgsschlüssel für zukünftige Immobilienstrategien und -investments.

Die Nachfrage nach energieautarken Logistikobjekten wird in Zukunft steigen.

Alle Stakeholder wollen mehr Nachhaltigkeit

Die jetzige Situation mit den drastischen Energiekostensteigerungen erfordern ein Umdenken in Sachen Nachhaltigkeit, denn die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und energetisch nicht optimierten Immobilienbeständen wird zum wunden Punkt für jedes Unternehmen und somit auch für den jeweiligen Mieter und Vermieter. Während früher grüne, energiesparende Immobilien sowohl mieterseitig als auch vermieterseitig klar in die Kategorie „Wir haben uns das jetzt mal geleistet“ fielen, ist inzwischen ein möglichst kleiner ökologischer Fußabdruck schlicht erforderlich. Schließlich trifft die Energiekostensteigerung wie eine Welle auf die entsprechenden Marktakteure – und wer jetzt effizient und energieschonend agieren kann, ist klar im Vorteil. Dies dürfte sich mittel- bis langfristig auch nicht ändern.

Jetzt ist Zeit für Innovation! Auf der einen Seite schreit die neue Situation nach Projektentwicklern, die in der Lage sind, CO2-neutrale beziehungsweise energieautarke Logistikimmobilien spekulativ oder maßgeschneidert als Auftragslösung entwickeln und auch wirtschaftlich attraktiv erstellen zu können. Auf der anderen Seite ist die Gemengelage auch für Logistikdienstleister eine große Chance, sich am Markt zu differenzieren. Bisher gibt es keinen Logistikdienstleister, der in der Lage ist, dem verladenden Kunden in Sachen CO2 oder Energie ein „Rundum-sorglos-Paket“ anbieten zu können, wenngleich die Kunden danach verlangen.

Dass dies nicht „mal eben so“ möglich ist, ist aufgrund der Komplexität nachvollziehbar. Allerdings gehe ich fest davon aus, dass spätestens im kommenden Jahr die ersten Logistikdienstleister mit einer solchen Lösung am Markt agieren. Die Marktmacht, die dadurch entstehen kann, rechtfertigt aus unternehmerischer Sicht also heute Investitionen in Fahrzeuge, Intralogistik und letztlich auch Immobilien, sei es als Eigentümer oder in Form höherer Mietpreise.

Logistikimmobilien als Liebling der Kommunen?

Sich über das oft schlechte Image von Logistikimmobilien bei Kommunen weiterhin zu beklagen, hilft keinem weiter. Die Frage ist seit Langem, welche Maßnahmen hierbei eine Veränderung erreichen könnten. Die Energiekrise öffnet nun aus meiner Sicht eine Tür ins Büro des Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin, die in puncto Akzeptanz von Logistikimmobilien nie größer war.

Nicht nur Unternehmen sind demnach aufgerufen, Energie zu sparen beziehungsweise selbst zu erzeugen, sondern perspektivisch auch die Kommunen. Beinahe wöchentlich werden neue Regularien und Förderangebote für energiesparende oder auch energieerzeugende Immobilien bekannt gegeben und das wird noch eine Zeit lang so weitergehen. Das ist nicht nur eine Herausforderung für Eigentümer und Projektentwickler, sondern auch für die Kommunen. Schließlich erhalten sie ebenfalls Richtlinien oder Anreizsysteme in Bezug auf den regionalen Energiehaushalt, die sie innerhalb eines begrenzten Zeitraums erfüllen müssen.

Da nur wenige Kommunen den Verwaltungsaufwand auf sich nehmen werden (beziehungsweise können), die privaten Haus- und Wohnungseigentümer einzeln anzusprechen und komplizierte Genehmigungsverfahren für Maßnahmen zur Energieerzeugung durchzuführen (Baugenehmigungen, Einspeisung etc.), gibt es eigentlich nur zwei praktikable Lösungen: Entweder werden Wind- und Solaranlagen auf Grünflächen aufgestellt, was aber in Sachen Naturschutz bedenklich sein und schnell Bürgerinitiativen auf den Plan rufen kann. Oder aber die Entscheider wenden sich an das lokale Gewerbe. Einen bestehenden großflächigen Parkplatz mit Solaranlagen zu überbauen, die Dachflächen eines Logistikzentrums zu nutzen oder – wie bereits in den Niederlanden häufiger umgesetzt – eine Windanlage aufzustellen, ist in den meisten – wenn auch nicht in allen – Fällen (eigentlich) besser und einfacher umsetzbar. Die Zahl möglicher Maßnahmen zur Energieerzeugung oder zum Energiesparen ist riesig. Häufig ist eine Kombination in Verbindung mit digitaler Gebäudesteuerung die sinnvollste Lösung.

Mit anderen Worten: Wenn ein solches „kleines Kraftwerk“ einer Kommune die nachhaltige Energie bringt, die sie sich sonst mühsam anderweitig organisieren müsste, hat die Logistikimmobilienwirtschaft einen wichtigen neuen Hebel. Gleichzeitig werden die Mieterinnen und Mieter unabhängiger von fossilen Brennstoffen – zumindest zu erheblichen Teilen.

Die Dächer von Logistikimmobilien bieten ein enormes Potenzial für den Ausbau erneuerbarer Energien.

Wie groß ist der mögliche Impact?

Grob geschätzt wurden in den vergangenen 20 Jahren rund 100 Millionen Quadratmeter an Logistikhallenfläche umgesetzt, die von der Statik her zu einem überwiegenden Teil mit Photovoltaikpaneelen bebaubar sein müssten (überbaubare Parkplätze nicht mit eingerechnet).

Würde dieses Potenzial genutzt, könnten mit modernen Anlagen über den Daumen gepeilt zehn Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt und so etwa zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger ein Jahr lang mit Strom versorgt werden, wobei der Eigenverbrauch der Logistikhallen hier nicht mit eingerechnet ist. Der nächste Schritt dorthin ist gar nicht so weit entfernt: die Energieautonomie, also die Nettonull aller deutschen Logistikimmobilienbestände von der Big Box bis zur kleinflächigen Halle im Gewerbepark.

Geht man zusätzlich davon aus, dass die Lösung nicht nur an der Solarenergie hängen wird, sondern eine ganze Reihe an energetischen Alternativen (Wind- und Wasserkraft, Geothermie und Wärmepumpen etc.) einen Beitrag leisten werden, scheint folglich in Bezug auf Logistikimmobilien ein enormes Potenzial zu existieren.

Ist Nearshoring der nächste Nachfragetreiber?

Entscheidend für die Nachhaltigkeit von Logistikimmobilien ist aber nicht nur die Frage, wie gebaut wird – sondern auch, was gebaut wird. Mit anderen Worten muss vorausschauend geplant werden, welche Arten von Logistikimmobilien an welchen Standorten entwickelt werden und wie sie möglichst lange nutzbar beziehungsweise drittverwendbar sind.

Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Tendenz zur Deglobalisierung und zum Nearshoring betriebswichtiger Produktionsprozesse. Damit verbunden ist eine lokale Bevorratung produktionswichtiger Güter. Schließlich ergeben sich pro Tag teils siebenstellige Umsatzausfälle, sobald die Bänder stillstehen. Entsprechend sinnvoll ist es, eine Lagerhalle mit den wichtigsten Gütern für Notfälle als „Puffer“ vorzuhalten. Und jetzt wird es interessant: Diese Logistikimmobilien müssen in vielen Fällen – anders als im E-Commerce – nicht einmal strategisch günstig gelegen sein, sondern können sich auch an vermeintlich weniger attraktiven „Logistiklagen“ und somit deutlich günstigeren Standorten befinden. Dies ist insbesondere für wirtschaftlich schwächere Kommunen ohne bedeutende Gewerbeansiedlung mit neuen Chancen verbunden. Davon profitieren auch zahlreiche Wirtschaftsförderungen.

Gleichwohl wird sich der Trend zum Nearshoring und zum Pufferlager nicht flächendeckend durchsetzen. Es sind vor allem komplexe Industrien wie das Automotivesegment, die solche Bestände für den Notfall aufbauen müssen. Das gilt aber nicht für alle Branchen, denn Produkte wie Textilien oder zahlreiche Konsumgüter werden weiterhin außerhalb Europas gefertigt. Deshalb sollte die Immobilienbranche es vermeiden, einen allzu großen Flächenüberschuss bereitzuhalten. Hier gilt es, spezifische Lösungen mit den Auftraggebern aus der Industrie zu finden.