Märkte & Meinungen
Verkaufen oder halten? Der neue Blick der Corporates auf ihre Bestandsimmobilien
Das Thema der nicht betriebsnotwendigen Immobilien ist bei Corporates und Entwicklern altbekannt – aber die derzeitige Marktsituation verändert vieles. Schließlich haben sinkende Kaufpreise und steigende regulatorische Anforderungen dazu geführt, dass die Ausgangslage eine völlig andere ist als noch vor wenigen Jahren. Das zeigt unser Interview mit Barbara Böhler, Senior Real Estate Manager bei der ABB AG, und Tobias Neldner, Gesamtverantwortlicher für das Turbinenwerk Mannheim bei Aurelis.
Frau Böhler, Herr Neldner, gibt es in der gegenwärtigen Situation überhaupt noch Corporates, die Grundstücke aus dem Betriebsportfolio veräußern wollen?
Neldner: Es kommt immer darauf an, ob ein gewisser Handlungsdruck da ist. Man muss sich bewusst machen, dass Industrieareale, wenn sie nicht mehr oder teilweise nicht mehr genutzt werden, trotzdem weiter Kosten verursachen. Während der Effekt bei einigen Unternehmen nicht groß ins Gewicht fällt, gibt es andere, bei denen die laufenden Kosten zum jährlichen Millionengrab werden. Dann steigt der Druck zu handeln, selbst in Zeiten, in denen Immobilienverkäufe nicht mehr ganz so einfach zu realisieren sind. Ich beobachte derzeit durchaus, dass nicht betriebsnotwendige Grundstücke am Markt angeboten werden, die vorher nicht zum Verkauf standen.
Böhler: Bei uns ist es so, dass wir schon in den vergangenen Jahren zahlreiche nicht betriebswichtige Objekte gezielt veräußert haben. Für die zum Verkauf stehenden Immobilien kann es sinnvoll sein, sie in der momentanen Situation vorübergehend weiter zu halten und auf eine bessere Marktphase zu warten. Die laufenden Kosten erlauben das meist auch, denn sie liegen im überschaubaren Rahmen. Bei leerstehenden Immobilien ist meist nur noch ein Stillstandsmanagement erforderlich. Wichtig ist allerdings zu wissen, dass sich unsere Strategie nicht in erster Linie nach der Immobilien-Portfolio-Management-Sicht, sondern nach der Konzernstrategie ausrichtet. Wenn es der konzernpolitische Wille ist, können wir nicht lange auf bessere Marktchancen warten und realisieren gezielte Verkäufe. Wir betreiben also kein aktives Portfoliomanagement, sondern unterstützen unsere Konzernentscheidungen.
Stichwort Einbußen beim Verkauf – wie oft finden Angebot und Nachfrage zusammen?
Böhler: Seit einem Jahr merken wir, dass die Käufer deutlich restriktiver und vorsichtiger agieren. Risikoreiche Käufe gibt es nicht mehr, und bei Entwicklungsgrundstücken nicht mehr betriebsnotwendiger Immobilien preisen die Interessenten die Unwägbarkeiten am Markt spürbar ein. Die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten treffen die Immobilienbranche mit voller Wucht. Insgesamt ist der Marktumschwung aber eine Kehrtwende, die nach dem sehr langen Boom auch ein Stück weit notwendig war.
Neldner: Das Transaktionsvolumen ist in der Tat derzeit nicht so groß, wie es eigentlich sein könnte. Die Preisvorstellungen finden nicht überall zueinander. Zu viele Verkäufer glauben, immer noch die Erlöse erzielen zu können, die vor drei oder vier Jahren möglich waren. Das liegt weniger oft an den Corporates, sondern eher an den beratenden Unternehmen, die teilweise die Verkaufsaussichten positiver darstellen, als sie tatsächlich sind.
Böhler: Bei uns werden Wertermittlungen sowohl intern durchgeführt als auch an externe Bewerter weitergegeben, die dann auch für die Dokumentation zuständig sind. Man muss schon einen ehrlichen und vor allem neutralen Blick auf die eigenen Bestände haben.
Wie hart muss man verhandeln, bevor man die Bemühungen im Zweifel aufgibt?
Neldner: Grundsätzlich ist hartes Verhandeln nichts Verwerfliches, denn am Ende muss der Deal für beide Parteien wirtschaftlich sein. Wichtig ist es allerdings, fair und transparent zu bleiben. Bei Sale-and-lease-back-Transaktionen bleiben die Parteien beispielsweise auch nach dem Verkauf noch Geschäftspartner und wollen auch in Zukunft vertrauensvoll zusammenarbeiten. Das sollte man in den Gesprächen durchaus berücksichtigen.
Was sind die Hauptgründe für Preissenkungen?
Neldner: Das können zum Beispiel baurechtliche, städtebauliche oder infrastrukturelle Gründe sein. Gerade Corporates, die zum ersten Mal nicht betriebsnotwendige Grundstücke verkaufen, sind sich nicht immer bewusst, dass der Aufwand allein schon bei der Baurechtschaffung enorm ist. Und die ist letztlich fast immer erforderlich, schon wenn das Stichwort Multi-Tenant mit verschiedenen Nutzungen fällt, also die Umwidmung hin zur Drittverwendungsmöglichkeit. Auch das Thema Altlasten als Risiko muss in vielen Fällen eingepreist werden. Es geht insgesamt einfach darum, zu zeigen, dass ein niedriger Kaufpreis gute Gründe hat und nicht einfach dazu dient, die Marge zu steigern.
Böhler: Wichtig ist aber immer auch zu bedenken, dass der Preis beileibe nicht der einzige Faktor ist, der den Ausschlag gibt. Bei ähnlichen Preisen entscheiden aus unserer Sicht immer die zukünftige Nutzung und das Wissen um eine professionelle Abwicklung im Verkauf. Uns ist es wichtig, eine Immobilie, die wir lange begleitet haben, in „gute Hände“ zu geben.
Das Stichwort Altlasten ist gefallen – ist das Thema in Zeiten von ESG präsenter denn je?
Böhler: Wir arbeiten sehr aktiv an unserem Bodenmanagement, was dazu geführt hat, dass wir keine großen Altlasten mehr zu verzeichnen haben. Das Bewusstsein dafür ist bei uns sehr früh entstanden, nicht erst durch die allgemeine mediale Wahrnehmung von ESG. Wir haben in eigener Regie Bodensanierungen durchgeführt und häufig auch mit den Bundesländern im Rahmen eines Treuhandvertrags an Sanierungskonzepten gearbeitet.
Neldner: Es ist für den Käufer ein großes Plus, wenn der Verkäufer hier schon Vorarbeit geleistet hat. Gerade in Bezug auf das Thema Versickerung von Niederschlägen, was heute die Kommunen statt der Einleitung in die Kanalisation oft fordern. Es wäre ökologisch hochsensibel und undenkbar, wenn man durch Altlasten hindurch versickern wollen würde.
Was waren besondere Punkte bei der Transaktion des Turbinenwerks?
Neldner: Als es 2019 um den Erwerb des Turbinenwerks ging, war die Stadt Mannheim sofort stark involviert und ist unter anderem für die unbedingte Entsiegelung und Schaffung von Grünflächen eingetreten. Das wäre aber ohnehin in unserem Sinne gewesen für eine größtmögliche Aufenthaltsqualität, das Stichwort ESG ist ja schon gefallen. Für uns ist das Turbinenwerk aber auch dahingehend besonders, weil hier alle Gewerke einer Immobilienentwicklung zum Einsatz kommen, von der Landentwicklung über die besagte Baurechtschaffung hin zu Hochbau, Asset und Property Management. Das gesamte Portfolio, das Aurelis ausmacht, ist hier im Kleinen vorhanden. Wir können hier also gut und gerne von „Aurelis in a nutshell“ sprechen.
Böhler: Für uns ist es immer besonders, wenn sich die erwartete professionelle Abwicklung dann auch wirklich einstellt. Denn selbst wenn ein Partner eine gute Reputation hat, kann im Laufe der langen und durchaus komplexen Prozesse immer mal etwas schieflaufen. Das war hier nicht der Fall. ABB hat sehr gute Erfahrungen mit Aurelis gemacht. Im Rahmen unserer Sale-and-lease-back-Transaktion im Turbinenwerk haben wir insbesondere eine Flexibilität beim Käufer erfahren, die nicht selbstverständlich ist. Ich gehe so weit, zu sagen, dass ich trotz – oder aufgrund – meiner Erfahrung aus der Zusammenarbeit für zukünftige Verkäufe dazulernen konnte.
Vielen Dank!