Märkte & Meinungen
Die Wahrheit hinter der Wohnungslücke
In den 2010er-Jahren stiegen die Neuvertragsmieten typischerweise um 3 bis 4 Prozent pro Jahr. Derzeit liegt der Anstieg bundesweit bei 4 bis 5 Prozent, in einigen Städten sogar bei mehr als 7 Prozent jährlich. Hauptursache ist das zunehmende Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage.
Ein wesentlicher Kipppunkt war der Zinsanstieg im Jahr 2022. Seitdem hat sich die Nachfrage nach Wohnimmobilien – vor allem im Neubausegment – bei Investoren deutlich verringert. Gleichzeitig treiben steigende Material- und Lohnkosten sowie verschärfte Baustandards die Baupreise weiter nach oben. Anbieter von Neubauten sehen sich daher gezwungen, höhere Preise aufzurufen, während gleichzeitig die Nachfrage durch gestiegene Finanzierungskosten gedämpft ist.
Diese Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließt sich langsam über die steigenden Neuvertragsmieten, aber erklärt eben auch die geringe Wohnungsbautätigkeit. Während 2023 noch rund 300.000 Wohnungen fertiggestellt wurden, könnte die Bautätigkeit laut aktuellen Prognosen des ifo Instituts bis 2027 auf 165.000 zurückgehen. Demgegenüber steht ein Bedarf von mindestens 320.000 Wohnungen pro Jahr laut dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nennt sogar 355.000 Wohnungen jährlich bis 2030.
Die Konsequenz: Immer mehr Menschen weichen angesichts des fehlenden Wohnraums in das Umland aus oder bleiben zunächst in unpassenden Wohnsituationen.
Angesichts der Zahlen ist klar: Insgesamt muss deutlich mehr gebaut werden. Kurzfristig braucht es eine zielgerichtete Förderung, um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen und einen weiteren Abbau von Kapazitäten in der Bauwirtschaft zu verhindern. Denkbar wäre etwa die Förderung des EH-55-Standards, also des „gängigen“ Neubaustandards, wie im Koalitionsvertrag festgehalten. Auch die Unterstützung von Erstkäufern durch Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer oder aber Nachrangdarlehen, die als Eigenkapitalersatz genutzt werden können, wären lohnende Ansätze.
Bislang hat die Bundespolitik jedoch keinen dieser Ansätze aufgegriffen – mit spürbaren Folgen für die Bautätigkeit.

Ein weiteres Thema, das die derzeitige Diskussion um den Wohnungsbau begleitet, ist die Mietpreisbremse. Ursprünglich eingeführt, um Mieter in angespannten Wohnungsmärkten zu schützen, hat sie in der Praxis oft den gegenteiligen Effekt: Private Investoren schrecken zunehmend vor Neubauten oder Sanierungen zurück, weil sich Investitionen nicht mehr rechnen. Die Folge: Das ohnehin knappe Angebot wird weiter verknappt, der Markt verkrustet.
Auch die Umnutzung von Gewerbeflächen in Wohnraum birgt großes Potenzial, bleibt bislang allerdings meist ungenutzt. Insbesondere in urbanen Gebieten, in denen Gewerbeflächen bereits in gewachsene Wohngebiete integriert sind, könnte die Umnutzung eine Lösung bieten: So würde nicht nur Wohnraum geschaffen, sondern auch die durch Leerstand im Gewerbe entstandenen Lücken im Stadtbild geschlossen werden. Doch auch hier bremsen umfangreiche rechtliche und technische Vorgaben, etwa beim Brandschutz, viele Projekte aus. Eine flexiblere Handhabung dieser Vorschriften könnte hier deutliche Fortschritte ermöglichen.
Mittelfristig führt an echten Strukturreformen zur Senkung der Baukosten kein Weg vorbei. Der Schlüssel für mehr und günstigeren Wohnungsbau liegt in der Produktivität. Wenn die benötigte Arbeitszeit pro Wohneinheit sinkt, lassen sich Kosten spürbar reduzieren. Andere Länder zeigen, wie es geht: In den Niederlanden, Dänemark oder Belgien wurde bereits vor 15 Jahren damit begonnen, Planungs- und Bauprozesse zu digitalisieren. Vorreiter waren dabei Verwaltungen, die Bauindustrie und öffentliche Auftraggeber. In Deutschland dagegen führen Bauverwaltungen erst schrittweise und jede für sich digitale Lösungen ein. Diese sind untereinander jedoch nicht kompatibel.
Hinzu kommt: Während in unseren europäischen Nachbarländern Planen und Bauen stärker zusammengeführt werden, herrscht hierzulande häufig ein Silo-Denken. Das verhindert Skaleneffekte und verlangsamt Abläufe.
Gerade der soziale Wohnungsbau bietet Chancen zur Standardisierung. Einige Länder haben dies erkannt und nutzen industrielle Vorfertigung, ohne dabei an Gestaltungsmöglichkeiten einzubüßen. Dabei muss man nicht an die Plattenbauten vergangener Jahrzehnte denken, vielmehr erlauben moderne Fertigungen heute zahlreiche Variationen bei der Fassadengestaltung. Die Ergebnisse sind beeindruckend: In den Niederlanden liegen die Baukosten im sozialen Wohnungsbau bei unter 2.000 Euro pro Quadratmeter – in Deutschland sind es oft mehr als 3.000 Euro. Starre Vergaberichtlinien, unterschiedliche Landesbauordnungen und kommunale Vorgaben behindern die industrielle Vorfertigung in Deutschland.
Ein weiterer Unterschied: Im Ausland setzt man nicht auf Standards, sondern auf Ziele. Anstatt eine bestimmte Lösung vorzugeben, müssen die Bauunternehmen Richtwerte, beispielsweise für den Energieverbrauch, den Lärmschutz und die Statik, einhalten. Dadurch gibt es einen ständigen Anreiz, bessere und effizientere Lösungen zu finden. In Deutschland hingegen verhindert die Normierung vielfach Innovationen – selbst wenn alternative Ansätze vergleichbar leistungsfähiger oder besser wären.
Nicht zuletzt braucht es auch ein anderes Verständnis von Verantwortung. Bauämter prüfen auch in den Niederlanden oder in Dänemark sorgfältig, aber sie sind bereit, Abweichungen für gleich gute oder bessere Lösungen zuzulassen.
Dahinter steht Grundhaltung: Wohnungsbau ist ein gesellschaftliches Ziel. Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Bürger ziehen an einem Strang. Dieses Verständnis fehlt hierzulande oft noch. Es ist aber eine zentrale Voraussetzung, um die Wohnungslücke nachhaltig zu schließen.