Märkte & Meinungen
Mehr Realismus für Brownfields
Der Bedarf an modernen Wohn- und Gewerbeflächen in unseren Städten ist größer als je zuvor. An zahlreichen deutschen Standorten – wie beispielsweise im Ruhrgebiet, in der Metropolregion Stuttgart oder in Nürnberg – gibt es allerdings überhaupt kein freies Bauland mehr. Brownfield-Revitalisierungen sind deshalb derzeit die einzig mögliche Variante, dem Markt großvolumig neue Flächen zuzuführen. In vielen Regionen hat der Strukturwandel mittlerweile dazu geführt, dass mitten im Stadtbild Wunden klaffen, die durch eine Neuentwicklung geschlossen werden und sogar ihr Umfeld direkt oder indirekt mitheilen können.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass sich die Immobilienbranche noch intensiver mit dem Thema Brownfields auseinandersetzen muss, wenn sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden will. Vielleicht könnte an dieser Stelle der Einwand folgen, dass sie das seit mehr als zehn Jahren tut. Dem kann ich zwar zustimmen, allerdings hatte die Hochphase auf den Märkten dafür gesorgt, dass die Pläne immer ambitionierter wurden – und manchmal leider auch zu ambitioniert, was sich bei den nun veränderten Marktbedingungen negativ auf die Wirtschaftlichkeit auswirkt. Ich sehe hierfür insbesondere drei Ursachen.
Zum einen standen die Kalkulationen nicht immer auf soliden Füßen. Beim Residualverfahren, das von Projektentwicklern angewandt werden sollte, um den Bodenwert des Grundstücks zu berechnen, werden alle Bau-, Entwicklungs- und Vermarktungskosten sowie der zu erwartende Gewinn für den Entwickler vom errechneten Ertragswert abgezogen. Der sich daraus ergebende Residualwert ist der Wert, den das baureife Grundstück maximal betragen darf, damit sich die Investition lohnt. Ungenauigkeiten in dieser Kalkulation gefährden die Stabilität des Projekts bereits von Beginn an. Hinzu kommt, dass zuweilen darauf abgezielt wurde, ein Höchstmaß an Dichte mit Büronutzung zu realisieren, um den Ertragswert zu maximieren. Bis zur Pandemie wurde selbst in B-Lagen mit hohen und steigenden Büromieteinnahmen gerechnet. Heute passen diese Produkte aber nicht mehr zur Nachfrage. Die Leerstände in den Metropolen steigen bekanntlich immer weiter und es gibt keinen einzigen deutschen Standort, der mehrere Hunderttausend Quadratmeter zusätzliche Bürofläche absorbieren kann.
Eine unpräzise Kalkulation, eine Unterschätzung der Entwicklungszeit und eine unzureichende Berücksichtigung kommunaler Anforderungen können die Wirtschaftlichkeit eines Brownfield-Projekts gefährden.
Dr. Joachim Wieland, CEO Aurelis
Als zweite Ursache sehe ich die fehlerhafte Einschätzung des Zeithorizonts. Wir reden hier immerhin von fünf bis zehn Jahren, um aus einem bestehenden Baurecht für Industrienutzungen eine Umnutzung zu genehmigen und einen neuen Bebauungsplan zu erstellen. Das heißt: Die Zinsen, die in diesem Zeitraum fällig werden, müssen im Vorfeld kalkulatorisch berücksichtigt werden. Ebenfalls nicht zu unterschätzen sind in diesem Zusammenhang die hohen Renditeanforderungen der Kreditgeber, die wegen der Komplexität und des Risikos ihre Investitionen über hohe Verzinsungsansprüche absichern möchten.
Schlussendlich, und das ist die dritte Ursache, sind auch die Forderungen der Kommunen nicht zu unterschätzen – sprich, sie müssen eingepreist werden. Kosten für soziale Infrastruktur, Erschließungsmaßnahmen und sozial gebundener Wohnungsbau können dafür sorgen, dass ein Entwickler bis zu zwei Drittel der erwarteten Wertsteigerung dafür einplanen muss.
Um nachhaltige und wirtschaftlich erfolgreiche Projekte auf Brownfields zu realisieren, sind eine realistische Neubewertung der bisherigen Planungsansätze und eine Anpassung an die aktuellen Marktanforderungen unerlässlich. Künftig sollten wir Brownfields deshalb zukunftsfähiger entwickeln. Zukunftsfähig kann beispielsweise heißen, dass gewerbliche Nutzungen wie Logistik oder Light Industrial sinnvoller sein können – dort ist der Nachfrageüberhang nach wie vor vielerorts intakt. Zudem lassen sich diese Nutzungen in der Regel leichter innerhalb des bestehenden Baurechts realisieren. Insbesondere in einer von Herausforderungen geprägten Marktphase wie der momentanen und bei immer weiter steigenden regulatorischen Auflagen müssen wir uns als Entwickler stärker mit der tatsächlichen, langfristig stabilen Marktnachfrage auseinandersetzen.
Es geht also bei zukunftsfähiger Projektentwicklung primär darum, bedarfsorientiert zu entwickeln und somit jedes Brownfield individuell mit seinen Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu betrachten. Manchmal ist eine Konversion in ein gemischt genutztes Wohn- und Gewerbequartier die richtige Wahl, trotz hoher bauplanungsrechtlicher Komplexität. Manchmal ist ein Konzept wie unser UnternehmerPark die bessere Variante, bei dem wir auf größtmögliche Flächenflexibilität setzen. Und manchmal können oder sollten es eben doch Büros werden, sofern sie zukunftsfähig sind. Ich sehe für uns Projektentwickler deshalb Realismus als neue Leitlinie.
Ein neuer Realismus für Brownfields ist auch deshalb angebracht, da künftig mehr und mehr infrage kommende Objekte auf den Markt gelangen. Eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie zur Jahresmitte 2023 hat ergeben, dass 16 Prozent der befragten Unternehmen bereits aktiv dabei sind, ihre Produktion zumindest teilweise ins Ausland zu verlagern. Darüber hinaus erwägen 30 Prozent in der näheren Zukunft diesen Schritt.
Ob wir diese Entwicklung gutheißen oder nicht: Sie findet nun einmal statt. Daher sehe ich die Immobilienbranche jetzt in der Pflicht, das Beste aus der derzeitigen Situation und den künftig auf den Markt kommenden Arealen zu machen, die für die abgebenden Corporates nicht mehr betriebsnotwendig sind. Auf Brownfields kann dem Mangel an Wohn- und Gewerbeflächen mit klugen Konzepten zumindest teilweise entgegengewirkt werden. Ich bin überzeugt davon, dass das mit den wirtschaftlichen Interessen des jeweiligen Projektentwicklers in Einklang gebracht werden kann – wenn im Vorfeld die Hausaufgaben gründlich gemacht werden.