
Märkte & Meinungen
Mehr Realität wagen
Die Immobilienwirtschaft steht vor einer Zäsur. Jahrelang lebte das System von niedrigen Zinsen und einem nahezu uneingeschränkten Zugang zu Finanzierungen. Ob ein Projekt wirtschaftlich tragfähig war und eine attraktive Rendite abwarf, spielte oft eine untergeordnete Rolle – entscheidend war vielmehr die Erwartung, dass die Marktwerte der Immobilien weiter steigen würden. Banken und Anleihegläubiger machten mit, finanzierten breit, großzügig, oft auch riskant. Die Annahme war: Der Exit wird es wie die Jahre zuvor schon richten. Das Szenario, was passiert, wenn „die Musik aufhört zu spielen“, wurde nicht konsequent durchdacht.
Doch die Musik ist im ersten Quartal 2022 verstummt und das bisherige Modell funktionierte nicht mehr. Die Zeiten niedriger Zinsen waren vorbei, die Finanzierungsspielräume der Banken haben sich spürbar verengt. Die erhoffte Zinsentspannung nach der EXPO REAL 2024 ist ausgeblieben und spätestens auf der MIPIM 2025 wurde deutlich, dass auch langfristig mit dem vorherrschenden Zinsniveau zu rechnen ist. Heute fragt niemand mehr zuerst nach dem LTV, heute geht es um Cashflows und Rendite. Die zentrale Frage lautet: Kann eine Immobilie dauerhaft ihren Kapitaldienst leisten? Wer heute eine Finanzierung erhalten will, muss die Kapitaldienstfähigkeit des Projekts nachweisen können. Damit das gelingt, sind deutliche Abschläge gegenüber den vor 2022 angenommenen Immobilienwerten notwendig.

Die neuen Rahmenbedingungen bringen eine längst überfällige Korrektur mit sich – und offenbaren zugleich strukturelle Schwächen, die das System schon lange begleiten. Dazu gehören vor allem die Auswirkungen vertraglicher Strukturen, regulatorischer Vorgaben und die teilweise begrenzte Praxiserfahrung im Hinblick auf die besonderen Risiken von komplexen Development-Projekten bei Anleihegläubigern und teilweise auch bei Banken.
Gleichzeitig verändert sich mit der neuen Marktlage auch das Verhalten der Banken selbst: Die Haltung gegenüber neuen Finanzierungen wird spürbar zurückhaltender – und stellt Entwickler und Investoren vor neue Herausforderungen.
Ein zentrales Spannungsfeld bleibt auch die Regulierung. Die Vorgaben aus Basel III und IV sind darauf ausgelegt, das Finanzsystem zu stabilisieren – ein Ziel, das grundsätzlich im Interesse aller Marktteilnehmer liegt. In der Praxis führen sie derzeit jedoch zu zusätzlichen Engpässen, insbesondere in einer Phase, in der Kapital ohnehin knapp ist. Höhere Eigenkapitalunterlegungen für Immobilienkredite schränken den Handlungsspielraum vieler Institute weiter ein und erschweren neue Finanzierungen – auch für grundsätzlich tragfähige Projekte.
Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass die großzügige Kreditvergabe der vergangenen Jahre ihre Spuren hinterlassen hat. In der im langfristigen Vergleich außergewöhnlichen Niedrigzinsphase wurden zahlreiche Projekte finanziert, bei denen heute fraglich ist, ob sie unter den derzeitigen Bedingungen noch tragfähig wären. Solange die Preise stiegen, war vieles möglich – zu ambitionierte Mieterwartungen und zu knappe Kalkulationen wurden durch die Marktpreisentwicklung kompensiert. Heute agieren die Banken deutlich vorsichtiger. Die Anleihegläubiger haben sich vorübergehend fast vollständig zurückgezogen, was angesichts der auftretenden Probleme von Projekten und der Marktkorrektur durchaus nachvollziehbar ist.

Die Einschätzung von Marktzyklen, Standortentwicklungen oder Nutzungskonzepten bleibt bei komplexen und langfristig angelegten Projekten eine Herausforderung und erfordert Erfahrung und Know-how. In vielen Instituten wächst daher das Bewusstsein, dass neben einer stärkeren Fokussierung auf den „Track Record“ des Entwicklers ein eigenes, fundiertes operatives Verständnis integraler Bestandteil der Kreditentscheidung sein muss. Ansätze, bei denen verschiedene Abteilungen eng zusammenarbeiten und lokale Marktkenntnisse einfließen, gewinnen an Bedeutung – und stärken die Qualität der Entscheidung.
Die Branche muss sich ehrlich machen. Das gilt für Entwickler, die lange von zu optimistischen Annahmen gelebt und sie zu lange fortgeschrieben haben. Das gilt aber auch für Anleihegläubiger und Banken, die jahrelang Risiken ignoriert oder unterschätzt haben. Jetzt, wo die Spielräume enger werden, braucht es mehr als nur Zurückhaltung – es braucht echten Dialog, tiefes Verständnis und ein gemeinsames Interesse an tragfähigen Lösungen.
Wer Finanzierung in diesem neuen Umfeld gestalten will, kommt mit Automatismen und Pauschalurteilen nicht weiter. Gefragt sind Erfahrung, Transparenz – und vor allem: Realitätssinn und der Wille, gemeinsam Lösungen zu finden.