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Neue Wertschätzung für die „Old Economy“?
Herr Caspar, Herr Dr. Wieland, was ist zurzeit die größte Wachstumsbremse für die Industrie in Deutschland?
Caspar: Es stehen schlicht zu wenig Flächen für Neuansiedlungen zur Verfügung. Das verteuert die Grundstücke und macht es für Unternehmen unattraktiv, in Deutschland zu investieren. Dies fördert Abwanderungstendenzen in der Industrie. Investiert wird kaum mehr hierzulande, sondern dort, wo die Kosten niedriger sind. Deshalb haben andere Länder höhere Wachstumsraten als wir in Deutschland.
Wieland: Ich sehe dabei vor allem die Old Economy gefährdet.
Warum gerade die Old Economy?
Wieland: Neue Branchen mit spannenden Ansätzen und Technologien stehen bei vielen Akteuren in Politik und Verwaltung ganz oben auf der Agenda. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar. Neue Technologien stehen gedanklich für Zukunftsoffenheit und haben eine hohe Strahlkraft – auch solche, die noch in den Kinderschuhen stecken. Beispiel Wasserstoff: Viele Kommunen wollen lieber einen Wasserstoffpark und dementsprechend ein Hightech-Standort sein als ein Zentrum für die stahlverarbeitende Industrie oder die Chemie, um nur zwei Beispiele zu nennen. Dabei sind die Chancen von Zukunftstechnologien oft schwerer einzuschätzen als die von etablierten Branchen. Auch die Old Economy ist in der Lage, sich immer wieder neu zu erfinden, das hat sie oft genug bewiesen – Stichwort Industrie 4.0. Aus diesen Gründen sollte sie von den Kommunen wieder mehr wertgeschätzt und auch wieder mehr umworben werden.
Wann und wie kommt denn die besagte Wertschätzung zurück?
Wieland: Schwer zu sagen. Tatsächlich sehen wir Industrieunternehmen der Old Economy derzeit eher auf der Immobilien-Verkäuferseite als auf der Nachfrageseite. Das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern. Die hohen Energiekosten sind sicherlich ein Problem – die schwierigen Rahmenbedingungen ein anderes. Sie sind im Ausland oft in vielerlei Hinsicht besser.
Caspar: Ich sehe das ähnlich. In Deutschland haben wir vergleichsweise hohe Bruttolöhne, hohe Steuersätze und hohe Energiepreise. Da die Kommunen zu wenig Flächen ausweisen, kommen hohe Grundstückspreise hinzu. Das erschwert die Wettbewerbsfähigkeit enorm. Es liegt an der Regierung, jetzt Wachstum zu erzeugen. Wenn die Kommunen ihre Wertschätzung zeigen wollen, müssen sie dies in den Rahmenbedingungen tun.
Welche Rahmenbedingungen sind das konkret?
Caspar: Ich denke dabei vor allem an die Baurechtschaffung. Sie dauert hierzulande häufig so lange, dass die Kommunen während des laufenden Verfahrens von der politischen Opposition unter Druck gesetzt werden. Hier kann der Bund helfen, indem er das Baugesetzbuch so ändert, dass kommunale Bebauungspläne schneller rechtskräftig werden.
Wieland: Ein Gesamtprozess von fünf Jahren ist in Deutschland bei der Baurechtschaffung für neue Industrieflächen keine Seltenheit. Viele Unternehmen, die anfangs noch optimistisch sind und durchaus erst mal Baurecht in Deutschland anstreben, springen im Laufe des Verfahrens ab, wenn sie mit diesen Realitäten konfrontiert werden. Und die wenigen, die alles durchhalten, stellen nach fünf Jahren fest, dass sich die Anforderungen an die Produktion so geändert haben, dass der gerade rechtskräftig gewordene Bebauungsplan wieder geändert werden muss. Der häufigste Fall ist jedoch, dass die Unternehmen von vornherein sagen, dass sie nicht so lange warten können. Diese Unternehmen gehen dann zum Beispiel nach Frankreich, wo solche Prozesse wegen der sogenannten Réindustrialisation – einer zentralen Strategie des Landes zur Steigerung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit – deutlich schneller gehen.
Nun wird aber am Baugesetzbuch doch gegenwärtig schon in Richtung beschleunigte Verfahren geschraubt …
Caspar: Ja, der Bund arbeitet daran, aber aus unserer Sicht gibt es noch viel mehr Optimierungspotenzial, um die Verfahrensdauer über die bisherigen Ziele hinaus zu verkürzen – zum Beispiel durch digitalisierte Verfahren. Diesbezüglich werden sicherlich noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.
Wieland: Hinzu kommt, dass das Baugesetzbuch und der Bauantrag nicht alleine das Kernproblem sind. Die eigentliche Hürde liegt im Mikromanagement der Kommunen. In der Praxis gibt es immer mehr Gutachten, Studien und Workshops vom Masterplan bis zur minutiösen Verkehrsanalyse. Davon steht nichts im Baugesetzbuch. Es ist legitim, sich bei bestimmten Schritten abzusichern. Wegen fehlender Normen sind diese Absicherungsschritte in der Verwaltung aber selbst wieder mit Unsicherheit behaftet und kosten viel mehr Zeit als nötig.
Wo sehen Sie weitere Bremsen für die Industrie in Deutschland?
Caspar: Wir stehen vor einem demografischen Problem. Vor allem in den Ballungsräumen gehen fast doppelt so viele Menschen in den Ruhestand wie neue Arbeitskräfte nachkommen. Der Wohnungsmangel wiederum macht es Neuankömmlingen schwer, beziehbaren Wohnraum zu finden. Das hat zur Folge, dass Arbeitsplätze in den verschiedensten Branchen nur langsam besetzt werden können. Hier zeigt sich also, dass die Anspannungen auf den Wohn- und Gewerbeimmobilienmärkten direkt miteinander verbunden sind.
Wieland: Auch dies ist ein Thema der langsamen Baurechtschaffung. Nicht mehr benötigte Industrieflächen in Wohnraum umzuwandeln, dauert ebenfalls mindestens fünf Jahre. Manchmal dauert es doppelt so lange. Nicht umsonst denken viele Industrieunternehmen heute wieder über Werkswohnungen nach, weil sie einfach keinen anderen Ausweg sehen.
Worin liegt die Lösung?
Wieland: Wir brauchen für Industrie- und Gewerbeflächen mehr Angebotsbebauungspläne der Kommunen. Das sind Bebauungspläne, die als Vorrat für künftige Ansiedlungen und Bauvorhaben dienen, ohne dass es bereits ein konkretes Projekt gibt. Damit wären die baurechtlichen Grundlagen bereits geschaffen, wenn sich ein Unternehmen ansiedeln will. Wenn die Kommunen aber warten, bis Unternehmen sich verbindlich festlegen und erst dann ein vorhabenbezogenes Verfahren einleiten, haben wir die Fünf- oder Zehnjahressituation, von der wir eben gesprochen haben.
Caspar: Auch bei den Immobilienentwicklern gibt es Handlungsbedarf. Die Immobilienwirtschaft muss berücksichtigen, dass sich Immobilien nur dann vermarkten lassen, wenn sie bestimmte Nachhaltigkeitsstandards erfüllen. Wenn beispielsweise Flächen bisher landwirtschaftlich genutzt werden und durch Monokulturen oder Pestizide geschädigt sind, sollten Teile der Flächen im Fall von Baulandschaffung ökologisch aufgewertet werden. Auch in der Logistik gibt es innovative Lösungen, zum Beispiel Dachbegrünungen, Photovoltaikanlagen oder nachhaltige Baustoffe. Gleichzeitig lohnt es sich, in die Höhe statt in die Breite zu bauen. Wenn wir diese Maßnahmen umsetzen, werden auch die Kommunen eher bereit sein, neues Bauland für die Logistik auszuweisen. Eine kooperative Zusammenarbeit auf beiden Seiten kann viel bewirken.
Wieland: Die Integration von Nachhaltigkeitsstandards in die Immobilienentwicklung ist von entscheidender Bedeutung – für die Umwelt und für den langfristigen Werterhalt der Immobilien. Das haben die Entwickler erkannt und setzen entsprechende Maßnahmen in der Landentwicklung und beim Hochbau bereits um. Wir unterziehen Brownfields beispielsweise einer umfassenden Analyse auf Verunreinigungen und Altlasten und siedeln geschützte Flora und Fauna in aufwändigen Verfahren in Ersatzhabitate um. Zudem investieren wir konsequent in erneuerbare Energien und installieren auf allen Neubauten Photovoltaikanlagen. Diese Maßnahmen sind ein wichtiger Schritt in Richtung Umweltschutz und verdeutlichen, dass Immobilienentwicklung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können.