3D-Visualisierung einer Baustelle, die aus einem Laptop herausragt

Planungsrecht – in den Niederlanden ist erst mal alles möglich

Portraitfoto Han Joosten
Han Joosten, Leiter Gebietsentwicklung & Marktforschung bei der BPD Immobilienentwicklung GmbH

Bei unseren niederländischen Nachbarn hat die Digitalisierung längst Einzug in die Baugenehmigungsverfahren gehalten. Frei nach dem Motto „Alles ist möglich, sofern sich nur alle darüber einig sind“ entstehen dort gemischt genutzte Quartiere in vergleichsweise überschaubaren Zeiträumen.

Wenn ich mich mit meinen niederländischen Kolleginnen und Kollegen über das deutsche Baurecht unterhalte, stoße ich meist auf zwei Fragen. Erstens: Warum kann nicht einfach ein bewährtes Gebäudekonzept von München auf Köln oder Frankfurt am Main übertragen werden? Und zweitens: Warum dauert es in Deutschland so lange, bis mit dem Bau begonnen werden darf?

Wer Antworten auf diese Fragen sucht, stößt in den Niederlanden und in Deutschland auf zwei unterschiedliche Mentalitäten im Bereich der Baugesetzgebung und Bauplanung.

Niederlande – mit dem Umgebungsgesetz zur allgemeinen Transparenz

Im Jahr 2017 wurde in den Niederlanden ein wegweisender politischer Schritt eingeleitet: Mit dem sogenannten Umgebungsgesetz (niederländisch: Omgevingswet) werden ab 2022 sämtliche Bebauungspläne zu Umgebungsplänen umgewandelt, die sich jeweils auf die gesamte Gemeinde beziehen. Darin sind sämtliche Planungsgebiete beziehungsweise Baulücken aufgenommen, sodass ersichtlich wird, inwieweit ein einzelnes Bauvorhaben den Zielen der jeweiligen Stadtentwicklung entspricht.

Eine Plattform für alle Baubeteiligten erleichtert die Zusammenarbeit

Zwei Dinge sind die Grundlage: Entschlackung und Transparenz. Die gesamte Planung liegt auf einer zentralen Plattform digitalisiert und für alle Beteiligten sowie für Bürgerinnen und Bürger einsehbar vor. Sämtliche Prozessschritte werden nur noch über dieses System abgewickelt. Aktenordner und Medienbrüche gehören damit der Vergangenheit an. Wird ein solch digitaler Bauantrag gestellt, erkennt das System automatisch, ob beispielsweise die Brandschutzbestimmungen eingehalten werden oder ob es an anderer Stelle zu Konflikten kommen könnte. Auch die Partizipation der Anwohnerinnen und Anwohner kann dadurch erleichtert werden – wobei wie bei allen Onlinesystemen eine gewisse Zeit der Gewöhnung nötig sein wird.

Mit dieser Umstellung ist ein bestimmtes Leitbild verbunden: Zunächst einmal ist grundsätzlich alles erlaubt, was den vereinbarten Zielen des Umgebungsplans dient. Abweichungen von den Planungsvorgaben sind ausdrücklich möglich, sofern sich alle Beteiligten darüber einig sind. Das hat schnell sehr konkrete Folgen, unter anderem beim Lärmschutz, der ja in Deutschland des Öfteren ein K.-o.-Kriterium für ein Bauvorhaben darstellt. Wenn in den Niederlanden beispielsweise in einer Gemeinde der Sozialwohnungsbau angekurbelt werden soll und sich in der Nachbarschaft ein Gewerbegebiet befindet, kann die Gemeinde den zulässigen Lärmpegel leicht erhöhen, sodass die Projektentwicklung ermöglicht wird. Die Bedingung ist dabei natürlich, dass trotzdem Wohnungen entstehen, die eine hohe Lebensqualität bieten. Somit können auch eigentlich nicht genehmigungsfähige, aber gesamtgesellschaftlich wichtige Neubauten realisiert werden.

Wie sich das konkret auswirken kann, zeigt sich unter anderem im ehemaligen Gewerbegebiet Binckhorst (150 Hektar) in Den Haag, das zurzeit zu einem gemischten Wohn- und Arbeitsquartier umgewandelt wird. BPD ist dort an mehreren Projekten beteiligt. Neben Mikroapartments und Penthäusern werden Villen und Einfamilienhäuser entstehen, genauso wie eine Grundschule oder auch das erste Indoor-Surf-Bad der Niederlande. Kunst und Kultur sind ebenfalls wichtige Bestandteile. Das gesamte Areal – oder besser: die Umgebung – wurde als einheitliches Konzept geplant und als solches von den Behörden geprüft.

Eine „Mitgift“ für die Gemeinden

Im gesamten Modernisierungs- und Digitalisierungsprozess von Bauvorhaben in den Niederlanden war ein Aspekt sehr wichtig, den wir „Mitgift“ nennen. Das bedeutet, dass die nationale Regierung in Den Haag allen Städten, Kommunen und Provinzen eine Basis an vorgefertigten Richtwerten und Regeln zur Verfügung gestellt hat. Diese können digital angewendet und bearbeitet – aber eben auch interpretiert und abgewandelt werden. Auf diese Weise wurden die Gemeinden unterstützt und gleichzeitig ermutigt, die jeweiligen Bestimmungen an ihr eigenes stadtplanerisches Ziel anzupassen.

Individuallösungen und Überregulierung sind der Hemmschuh der deutschen Baubranche

Gerade mit Blick auf die deutsche Praxis und den Föderalismus zeigen sich die Unterschiede beider Herangehensweisen vielleicht am deutlichsten: In Deutschland wird es den Gemeinden – wie auch der Privatwirtschaft – durch Überregulierung und Individuallösungen schwer gemacht. Es ist mir grundsätzlich unverständlich, warum Münchener Anwohnerinnen und Anwohner andere bauliche, lärmtechnische und brandschutzbezogene Anforderungen haben sollten als Kölner. Diese Besonderheiten verhindern, dass Wohnraum einheitlicher und kostengünstiger hergestellt werden kann. Fairerweise muss gesagt werden, dass beispielsweise durch die Musterbauordnung in Deutschland auf nationaler Ebene Fortschritte erzielt werden könnten, doch halten sich diese bislang in Grenzen. Die Baukosten sinken dadurch jedenfalls nicht.

Deutschland – ein Mehr an Gesetzen wird Bauen nicht beschleunigen

Während in den Niederlanden auch die Verantwortung sinnvoll miteinander geteilt wird, um die Ziele gemeinsam zu erreichen, sorgen in Deutschland komplexe und weitreichende Gesetzgebungen dafür, dass die einzelnen Akteure vor allem Fehler vermeiden wollen. Dies sorgt automatisch für mehr Distanz zwischen den einzelnen Stakeholdern sowie für „Angst vor dem Neuen“. Dadurch werden eigentlich sinnvolle Ansätze wie der des Urbanen Gebiets viel zu selten umgesetzt, weil juristische Konsequenzen befürchtet werden. Übrigens wird in Deutschland in meinen Augen nach wie vor zu starr in einzelnen Kategorien wie Wohnen oder Gewerbe gedacht. Dementsprechend werden Objekte einzeln eingereicht und genehmigt. Städtebauliche Potenziale oder Synergien werden womöglich übersehen.

Das Baulandmobilisierungsgesetz wird seinem Namen nur schwer gerecht. Bauland muss nicht „mobilisiert“ werden, ausreichend Flächen sind allemal vorhanden. Das Problem ist eher, diese zu Bauland zu entwickeln, sodass sie dem dringend benötigten Wohnungsbau zur Verfügung stehen.

All die Einzelpunkte des deutschen Gesetzes können für sich genommen sinnvoll sein, doch das Gesamtpaket sorgt für komplexere, nicht für schlankere Prozesse. Somit können nicht die Immobilien entstehen, die benötigt werden, oder anders gesagt: In der Summe wird nicht ausreichend bezahlbarer Wohnraum entstehen.

Besonders zeigt sich das am Stadtrand. Als BPD wollen wir in den kommenden Jahren genau dort neue Wohnquartiere entwickeln und bauen, um mit durchmischten Quartieren den qualitativen und quantitativen Wohnbedarf der Bürgerinnen und Bürger zu befriedigen.

Die Digitalisierung bestimmter Prozesse kann Bauämter entlasten

In den Niederlanden wird die Debatte anders geführt als in Deutschland. Der allgemeine Konsens lautet: Das Glück vieler Menschen besteht unter anderem darin, in ein eigenes Haus mit Garten ziehen zu dürfen. Während aber das niederländische Umgebungsgesetz die Möglichkeiten dafür bietet, dieses Ziel zu erreichen, erschwert das Baulandmobilisierungsgesetz das Bauen am Stadtrand zugunsten einer stärkeren Innenraumverdichtung. Letzteres ist natürlich ebenfalls notwendig, dennoch darf es sich in meinen Augen nicht um eine Entweder-oder-Frage handeln. Vielmehr muss beides ermöglicht werden.

Ich bin fest davon überzeugt: Wenn 30 Prozent des Baugesetzbuchs reduziert werden würden, könnten wir in Deutschland schneller und hochwertiger bauen.

Han Joosten, Leiter Gebietsentwicklung & Marktforschung bei der BPD Immobilienentwicklung GmbH

Wahrscheinlich wird sich in Deutschland die beschriebene Herangehensweise an das Thema nicht grundsätzlich ändern. Dennoch ließen sich mit Digitalisierung und Entschlackung wichtige Meilensteine erreichen, sofern dies gewollt ist. Neben dem Kostenfaktor – der auch in den Niederlanden bedeutend war – spielt dabei in Deutschland ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle: Effizientere Baugenehmigungsverfahren und digitale Prozesse wären mit weniger Personalbindung in den Ämtern verbunden. Um es zu verdeutlichen: Ob eine zulässige Deckenhöhe um zehn Zentimeter überschritten wird oder nicht, kann auch ein Computer ermitteln.

Diese Maßnahmen mögen einschneidend klingen, aber für mich steht fest: Wir müssen in Deutschland in einem neuen Zeitalter des Planens und Bauens ankommen. An digital gestützten Prozessen führt dabei kein Weg vorbei. Durch Digitalisierung und Entschlackung schaffen wir Transparenz und eine gegenseitige Vertrauensbasis, sowohl zwischen der Immobilienbranche und den Kommunen als auch gegenüber den Anwohnerinnen und Anwohnern.

Öfters mal „polderen“

Unabhängig von der Gesetzgebung sollte es zwischen allen Beteiligten stärker menscheln. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich stehen mit einigen Städten und Gemeinden immer wieder im produktiven Austausch – und manchmal werden wir zurate gezogen, auch wenn es gar nicht um ein konkretes Projektvorhaben geht. Eine solche produktive Basis des Miteinanders macht dann auch die spätere Umsetzung von Bauvorhaben viel ausgewogener und interessanter. „Den gemeinsamen Dialog stärken“, heißt es hierzulande oft. Ich persönlich sage, wir sollten öfters miteinander „polderen“ – ein niederländischer Ausdruck dafür, zu verhandeln und Kompromisse einzugehen. Aber ungezwungen, freundschaftlich und am allerbesten mit einer großen Tasse Kaffee.