Schrumpfende Wettbewerbsfähigkeit – starke Regionalzentren. Welche Faktoren prägen den Standort Deutschland?

Beitrag von Professor Michael Voigtländer

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat der Bundesrepublik Deutschland in seinem jüngsten „Länderindex Familienunternehmen“ ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Lag sie in früheren Ausgaben des Länderindexes, der seit 2006 alle zwei Jahre erscheint, im Mittelfeld der untersuchten Länder, ist sie nun auf Rang 18 von 21 abgerutscht. Zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern und Energiekosten, zu wenig Innovation und Fachkräfte: Droht Deutschland den Standortwettbewerb zu verlieren? Oder ist die deutsche Wirtschaft resilienter als angenommen? In einem exklusiven Gastbeitrag nimmt Professor Michael Voigtländer dazu Stellung und erklärt, was das für die Immobilienwirtschaft bedeutet.

Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten etliche Aufs und Abs durchgemacht. Derzeit wird wieder diskutiert, wie es vor dem Hintergrund derzeitiger Krisen und Herausforderungen um die Wettbewerbsfähigkeit steht. Lohnt es sich noch, in der BRD zu investieren? Welche Immobilien-Assetklassen haben Zukunft, und welchen Beitrag kann die Immobilienbranche leisten, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten?

Zu früh für einen Abgesang

Fest steht: Deutschland steht zunehmend unter Druck. Der Ukraine-Krieg hat die Preise für Energie und zahlreiche wichtige Rohstoffe in die Höhe getrieben. Lieferketten müssen angepasst oder neu aufgebaut werden. Weltweite politische Verwerfungen, zunehmende Extremwetterereignisse und Nachwehen der Pandemie sorgen für Unsicherheit. Das bekommen Unternehmen in Deutschland ebenso zu spüren wie nahezu alle bedeutenden Wirtschaftsnationen. Zinserhöhungen und wachsende Inflation treffen andere Länder, vor allem die USA, teils sogar härter. Einige asiatische Nationen hingegen holen kräftig auf und werden zu starken Konkurrenten. Dazu hat Deutschland hausgemachte Probleme, von Infrastrukturengpässen über bürokratische Auswüchse bis hin zum Fachkräftemangel. Doch für einen Abgesang auf Deutschland als Wirtschaftsstandort ist es viel zu früh. Die Bundesrepublik hat auch viele Stärken. Außerdem sind es nicht nur externe Faktoren, die die Wirtschaft beeinflussen, sondern auch die Art und Weise, wie damit umgegangen wird. In dieser Hinsicht ist Deutschland nicht perfekt, doch die Wirtschaftsstruktur und die hohe Diversität deutscher Unternehmen bieten gute Voraussetzungen.

Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist trotz Herausforderungen weiterhin auf Kurs.

Polyzentrische Struktur als Standortvorteil

Deutschland ist stark föderal geprägt. Deshalb gibt es neben international bedeutenden Wirtschaftsstandorten zahlreiche Regional- und Mittelzentren. Diese polyzentrische Struktur erhöht die Resilienz und unterstützt einen der größten Standortvorteile Deutschlands: das exzellente Bildungsniveau in der Breite. Zwar hat Deutschland keine Leuchtturm-Unis im Rang von Harvard, Oxford oder der Sorbonne. Doch dafür bieten quasi alle deutschen Universitäten und Fachhochschulen ein solides Niveau – und da Dutzende von Hochschulen im ganzen Land mehr Studierende ausbilden können als eine Handvoll elitärer Kaderschmieden, ist das akademische Gesamtniveau von Weltrang. Hinzu kommt die deutsche duale Ausbildung, ein System, das weltweit bewundert wird.

In Deutschland ausgebildete Arbeitskräfte bieten also eine hohe Qualität. Gerade für die Industrie ist das wichtig: Deutschland verfügt über wenig eigene Rohstoffe und gilt als Exportnation. Im globalen Wettbewerb punkten wir über „Made in Germany“ als Qualitätssiegel.

Die polyzentrische Wirtschaftsstruktur sorgt zudem dafür, dass sich Innovations- und Wirtschaftshotspots über ganz Deutschland verteilen, statt sich wie in Frankreich oder Großbritannien um ein nationales Zentrum zu ballen. Das gibt der wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere Start-ups mehr Raum zur Entfaltung. Sie können sich dort ansiedeln, wo die Mieten günstig und die Konditionen für Gründerinnen und Gründer gut sind. Vor einigen Jahren war das Berlin. Inzwischen zieht es viele Jungunternehmerinnen und -unternehmer beispielsweise ins Ruhrgebiet, wo es viel Leerstand und große kreative Energie gibt.

Fachkräfte als begrenzender Faktor

Eine der größten Herausforderungen bleibt allerdings der Fachkräftemangel. Selbst wenn es Deutschland gelänge, alle bestmöglich auszubilden, wird sich der Mangel auf absehbare Zeit weiter verstärken, denn der Nachwuchs fehlt einfach.

Zuwanderer lindern zwar den Fachkräftemangel, doch die Integration ausländischer Arbeitskräfte bleibt schwierig. Einwanderung nach Deutschland ist nach wie vor mit enormen bürokratischen Hürden verbunden. Ausländerämter sind oft langsam, unflexibel und unterbesetzt. Auch Unternehmen müssen umdenken: Mehr Offenheit gegenüber anderen Kulturen, mehr Bereitschaft, Englisch als Arbeitssprache zu nutzen, und mehr Unterstützung bei der gesellschaftlichen Integration können helfen, High Potentials und begehrte Fachkräfte nach Deutschland zu locken und zu binden.

Die Frage, ob wir es schaffen, in Zukunft Fachkräfte auszubilden und anzuwerben, wird letzten Endes darüber entscheiden, wie lange Deutschland ein attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt – mehr noch als die Frage nach den Arbeitskosten: Wenn Beschäftigte teuer sind, aber zuverlässige Qualität abliefern, finden sich Wege, sie zu bezahlen. Wenn jedoch ausgebildete Kräfte ganz einfach nicht vorhanden sind, spielen Löhne auch keine Rolle mehr. Dann sind Unternehmen gezwungen, entweder den Fachkräften zu folgen oder, wenn das nicht möglich ist, sich zu verkleinern – bis hin zur Geschäftsaufgabe.

Der Fachkräftemangel bleibt Deutschlands größtes Entwicklungshemmnis.

Immobilien flexibler machen

Die Immobilienwirtschaft ist von vielen dieser Probleme selbst betroffen. Deshalb ist es nun essenziell, wichtige Weichen zu stellen, etwa um die Energiewende bei gleichzeitigem Rohstoffmangel und geopolitischen Verwerfungen zu stemmen, die Bürokratie auf allen Ebenen abzubauen und zu digitalisieren oder den Fachkräftemangel zu lindern. Erfreulich ist, dass es bereits Bewegung auf vielen wichtigen Baustellen gibt und Unternehmen oft gar nicht auf den Staat warten müssen (und wollen). Gerade was die Energieversorgung und den Umbau der Lieferketten betrifft, sind viele schon seit Längerem aktiv.

Was dabei allerdings nicht vergessen werden darf: Die Zukunft der Immobilienwirtschaft hängt auch von Kooperation und Flexibilität ab. Neue Flächen werden immer knapper. Deshalb sollte der Fokus auf der Entwicklung flexibler Immobilien liegen, die sich an die immer schneller wechselnden Ansprüche von Gewerbemietern anpassen lassen. Viele Bestandsimmobilien sind in gutem Zustand. In Deutschland wird solide gebaut und die Instandhaltung ernst genommen. Dementsprechend ist viel brauchbare Bausubstanz vorhanden, die genutzt werden sollte.

Kooperation ist auch das Stichwort für Wohnimmobilien, denn leistbarer Wohnraum wird zunehmend zu einem ausschlaggebenden Faktor beim Anwerben von Fachkräften. Großkonzerne wie Siemens können vielleicht wieder Werkswohnungen bauen, doch das ist nicht jedem Unternehmen möglich. Zielführender sind Absprachen mit Wohnungsunternehmen und flexible Kooperationsmodelle, bei denen etwa Kontingente für Angestellte vorbehalten werden oder für die Übergangszeit Serviced Apartments zur Verfügung stehen.

Ausblick: Deglobalisierung und Risikoverteilung

Durch die Pandemie wissen wir, dass globale Lieferketten anfällig sind. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beweist zudem, dass Geopolitik die Wirtschaft mehr als nur berührt. Entsprechend versuchen Unternehmen und Staaten seitdem, sich anzupassen. Wohlhabende Länder holen die Produktion zurück ins eigene Land, um weniger verwundbar zu sein. Auch Deutschland will und muss seine internationalen Verflechtungen überdenken. Die Russland-Sanktionen haben gezeigt, dass wir zu abhängig von einem einzigen Gaslieferanten waren. Wiederholte Lockdown-bedingte Engpässe für Mikrochips und Unterhaltungselektronik haben einen Flaschenhals in China offengelegt. Die EU als Ganzes ebenso wie ihre Mitgliedsstaaten planen deshalb, eigene Produktionskapazitäten auszubauen und Handelspartner für Im- und Export zu diversifizieren. Das ist eine Chance für Deutschland. Wir werden zwar nicht zur „Werkbank Europas“; dafür sind wir als Produktionsstandort zu teuer. Doch selbst wenn Chipfabriken in günstigeren EU-Ländern gebaut werden, profitieren wir, denn dank unserer Position im Zentrum Europas sind wir ein Logistikdrehkreuz für den ganzen Kontinent.

Die Logistik ist einer der größten und wichtigsten Wirtschaftsbereiche Deutschlands.

Und apropos Logistik: Logistikimmobilien weisen schon heute eine Preis- und Mietsteigerung nach der anderen aus. Das wird sich auf absehbare Zeit fortsetzen. Auch hieran zeigt sich die Stärke der polyzentrischen Bundesrepublik: Während etablierte Standorte wie München und Hamburg kaum neue Flächen ausweisen und die dortige Bevölkerung starke Vorbehalte gegen Logistikentwicklungen hat, sind andere Regionen, vor allem in Ostdeutschland, sehr viel offener und bereit, auch bei Planungsverfahren Kompromisse einzugehen. Das setzt weitere Potenziale frei. Zugleich bietet die hohe regionale Diversifikation die Möglichkeit, Risiken zu verteilen – nicht nur in der Logistik, sondern für alle Immobilien. Spitzenrenditen im weltweiten Vergleich lassen sich in Deutschland nicht erzielen, auch, weil das Niveau bereits recht hoch ist. Doch die Stabilität und die Resilienz der Bundesrepublik macht sie weiterhin zum idealen Ziel für alle, die auf Sicherheit statt Risiko setzen.