Nahaufnahme einer Fassade

Vom IT-Riesen zum Bauherrn?

Warum Konzerne nicht nur das Werkswohnen wiederentdecken

Portraitfoto Prof. Dr.-Ing. Alexander von Erdély
Private oder staatliche Immobilienentwickler auf der einen Seite – Kommunen und Bauämter auf der anderen. In den allermeisten Fällen werden Neubauprojekte zwischen diesen beiden Parteien koordiniert und vorangetrieben.

Dies könnte sich allerdings in naher Zukunft ändern: „Es ist möglich, dass wir bald im nennenswerten Umfang eine dritte Partei erleben“, sagt Prof. Alexander von Erdély, CEO bei CBRE. „Dabei handelt es sich um größere Mittelständler und Konzerne.“

Der aktuelle Anlass dafür, dass sich Unternehmen verstärkt in Bauprojekten engagieren, ist die anhaltende Wohnungsnot in den deutschen Städten. Sie wird wiederum zur Herausforderung beim Recruiting neuer Fachkräfte: Wo man keine bezahlbare Bleibe findet, wird man sich kaum für einen dauerhaften Lebens- und Arbeitsmittelpunkt entscheiden. „Viele Unternehmen erinnern sich daher gegenwärtig an das Prinzip der Werkswohnung“, sagt Erdély.

Historischer Trend neu interpretiert

Dass sich privatwirtschaftliche Unternehmen ohne Immobilienschwerpunkt massiv an Bauvorhaben beteiligen, ist an sich kein neuer Trend. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ganze Siedlungen mit Werkswohnungen. Damals verknüpften Architekten wie Walter Gropius oder Otto Bartning den neuen Nutzungsansatz auch mit ungewöhnlichen Immobilienkonzepten. „Nebenbei wurden so auch neue städtebauliche Erkenntnisse in der Praxis erprobt“, erläutert Erdély. „Beispielsweise die aufgelockerte Zeilenbauweise als Kontrast zur Blockrandbebauung, wie sie in Berlin bis zum Ersten Weltkrieg üblich war.

Nach und nach wurden die Immobilienbestände aber veräußert. „Das war nachvollziehbar. Die Wohnungsmärkte hatten sich vielerorts entspannt, und mit dem Verkauf wollten viele Unternehmen den Fokus wieder stärker auf das Kerngeschäft legen.“

Architektur mit Wiedererkennungswert: Beim Bau der Siemensstadt wurde mit zahlreichen damaligen Gewohnheiten gebrochen

Mittlerweile habe sich die Situation, Erdély zufolge, erneut verändert. „Die Firmen suchen Mitarbeiter und Mitarbeiter benötigen Wohnraum. Nicht nur Konzerne wie Volkswagen oder Gesellschaften wie das Deutsche Rote Kreuz verfolgen Wohnbauvorhaben. Auch andere denken darüber nach.“

Transformationsbedarf bei Gewerbeflächen

Doch das mögliche Engagement der Unternehmen bei der Immobilienentwicklung beschränkt sich keinesfalls nur auf Werkswohnungen. Denn auch bei den Gewerbeflächen herrscht für sie ein hoher Transformationsdruck. Moderne, dezentrale Arbeitsprozesse, die Prinzipien des New Work und technologische Innovationen wie beispielsweise die neuartigen Fertigungsprozesse der Industrie 4.0. sorgen dafür, dass ein signifikanter Teil der Bestandsflächen ersetzt werden muss. Professor Andreas Pfnür, der an der TU Darmstadt lehrt und forscht, hat dies im Rahmen einer ZIA-Studie analysiert. Sein Ergebnis: In den nächsten zehn Jahren muss etwa die Hälfte aller gegenwärtig von den Unternehmen genutzten Flächen ersetzt werden – ein Drittel davon durch Projektentwicklungsmaßnahmen.

Erdély sieht dies auch als große Herausforderung für Firmen, die Büroraum benötigen – zumal wenig Ausweichmöglichkeiten existieren: „Büroflächen sind in vielen deutschen Städten heutzutage fast ebenso knapp wie Wohnungen“, resümiert Erdély. Längst mieteten sich große Corporates in Coworking-Areas oder sonstige flexible Office-Lösungen ein. „Ein wichtiger Aspekt ist natürlich die Flexibilität solcher Flächen bei der Anmietung. Fast ebenso wichtig ist die Tatsache, dass Großunternehmen ihren zusätzlichen Raumbedarf gegenwärtig kaum noch anders decken können, als über Coworking oder ausgelagerte Innovation Hubs.“ Die vielleicht bessere Alternative: Kooperationen mit der Immobilienwirtschaft eingehen und nach eigenem Bedarf bauen.

„Büroflächen sind in vielen deutschen Städten heutzutage fast ebenso knapp wie Wohnungen“

Prof. Alexander von Erdély, CEO bei CBRE

Es kommt auf die Verzahnung der Flächen an

Erdély geht davon aus, dass dabei auch heute wieder die aktuellen städtebaulichen Strömungen einfließen. An erster Stelle steht der Mischnutzungsgedanke, das bedeutet, dass Wohn-, Gewerbe- und Einzelhandelsflächen mit Kultur-, Freizeit- und Gastronomieangeboten verbunden werden. Dadurch entsteht für Arbeitnehmer und Besucher eine größere Vielfalt auf dem Areal und der Arbeitgeber profitiert von der Anziehungskraft eines solchen Angebots.

Wenn Unternehmen neue Wohnungen und Gewerbeflächen bauen und dabei auch die Umgebung weiterentwickeln, müssen die neuen Flächen keineswegs im Eigentum der Unternehmen sein oder verbleiben. „Je nach Modell mietet man bei einem Entwicklungspartner oder geht anderweitige Kooperationen ein“, erklärt Professor Pfnür. Das werde jedoch bislang noch nicht flächendeckend umgesetzt, und Eigenentwicklungen von Unternehmen, die nicht aus der Immobilienwirtschaft stammen, bringen oft ein erhöhtes Risiko mit sich. Grundsätzlich hat die TU Darmstadt festgestellt: Bauprojekte von Non-Property-Firmen würden ganz überwiegend über alte, starre Verfahren abgewickelt, die im jeweiligen Unternehmen seit Jahrzehnten üblich seien. Diese Vorgehensweisen seien jedoch allein schon im Hinblick auf die heutzutage nötige unternehmerische Flexibilität nicht mehr zeitgemäß. Und ob die Projekte selbst dadurch so effizient wie möglich vorangetrieben werden, darf ebenfalls bezweifelt werden.

Partnerschaft und Dialog

Die Anforderungen in der Immobilienbereitstellung hätten sich schließlich drastisch verändert. Es fehle an Reaktionsfähigkeit auf die Anforderungen, die sich immer schneller wandelten.

„Die tradierten Formen der Bauprojektabwicklung stehen der nötigen Agilität im Projektmanagement im Weg.“

Prof. Dr. Andreas Pfnür FRICS, TU Darmstadt

Alexander von Erdély ergänzt: „Gerade bei Mischnutzungskonzepten ist zudem für Unternehmen, aber auch für Kommunen die Expertise und das Wissen aus der Immobilienbranche essenziell. Schließlich müssen unterschiedliche Flächentypen miteinander harmonisiert werden – und nicht jede Kombination, die auf dem Konzeptpapier vielversprechend wirkt, funktioniert später auch tatsächlich.“ Daher werde sich langfristig ein partnerschaftliches Modell mit spezialisierten externen Beratern, Steuerern oder auch Controllern durchsetzen. Hinzu käme der Dialog mit den Anwohnern, damit die Immobilienentwicklung nicht als Fremdkörper im Stadtviertel wahrgenommen werde.

Gelinge all dies, sind wertvolle Impulse durch unterschiedliche Corporates denkbar. „Neben Siemens und Co. sind vielleicht bald auch Digitalunternehmen wie Cisco als führender IT- und Netzwerkspezialist die Stadtentwickler von morgen“, glaubt Erdély. „Ich stelle mir als Ergebnis eine moderne, diversifizierte Umgebung vor.“ Eine, die neue technologische Entwicklungen antizipiert und somit ein interessanter Treiber für neue Konzepte werden kann. „Dafür müssen die Unternehmen natürlich nicht selbst zu Entwicklern werden“, resümiert Erdély. „Es genügt, wenn sie als Initiatoren und Koordinatoren einer Quartiersentwicklung um ihren Unternehmenssitz herum aktiv werden.“