Faust, die sich durch eine Wand boxt

Wie einschneidend wird der Flächenwandel?

Auswirkungen auf Produktionsbetriebe und Immobilienwirtschaft

Portraitbild von Dr. Joachim Wieland, CEO
Ein Beitrag von Dr. Joachim Wieland, CEO Aurelis Real Estate

Wenn es um die Frage geht, welche Flächenanforderungen die Industrie 4.0. für Unternehmen mit sich bringt, scheinen sich die Experten in zwei Lager zu teilen:

Für die einen bleibt kein Stein auf dem anderen, bei den anderen herrscht Skepsis, ob es sich nicht vielmehr um den sprichwörtlichen Sturm im Wasserglas handelt. Schließlich werde das Bedrohungsszenario nun schon seit einigen Jahren gezeichnet und bleibe dabei doch immer vage.

Digitalstrategien auf dem Vormarsch

Für den „Deutschen Industrie 4.0 Index“ befragte die Unternehmensberatung Staufen zusammen mit Staufen Digital Neonex im Herbst 2019 insgesamt 323 Unternehmen in Deutschland zum Thema Industrie 4.0 und Digitalisierung. Knapp 70 Prozent der befragten Unternehmen entstammen dem Maschinen- und Anlagenbau, der Elektro- und der Automobilindustrie. Das Fazit: In zwölf Prozent der deutschen Unternehmen übertrafen die Ergebnisse der laufenden Digitalisierungsaktivitäten die Erwartungen – zum Teil sogar deutlich.

Im November 2020 wurde erstmals der Digitalisierungsindex vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) erhoben. Künftig soll er einmal im Jahr Aufschluss darüber geben, wo die deutsche Wirtschaft in Sachen Digitalisierung steht und wie unterstützende Maßnahmen noch besser angesetzt werden können. Einige Branchen erzielen schon recht beeindruckende Werte: Am weitesten fortgeschritten bei der Digitalisierung sind dem Index zufolge die Informations- und Kommunikationsbranche, der Fahrzeugbau und die Branchen Elektrotechnik und Maschinenbau. Großunternehmen (ab 250 Beschäftigte) weisen einen deutlich höheren Digitalisierungsgrad auf als mittelständische Unternehmen (50–249 Beschäftigte). Süddeutschland steht beim Digitalisierungsgrad an der Spitze, aber auch Ballungsgebiete wie Berlin, Dresden, Hannover, Hamburg, München und Köln erreichen sehr hohe Werte.

Gemäß einer Umfrage aus dem Herbst 2020, die das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) bei 237 Betrieben des Verarbeitenden Gewerbes durchgeführt hat, geht das so weiter: So lasse die Corona-Krise gerade bei den produktionsintensiven Branchen einen breiten Digitalisierungsschub (Industrie 4.0) erwarten.

Auch beim 3D-Druck zeigen sich hierzulande große Fortschritte und ambitionierte Zukunftspläne: Während aktuell nur 16 Prozent der insgesamt 222 deutschen Teilnehmer einer EY-Umfrage 3D-Drucker bei der Endfertigung von Produkten einsetzen, strebt beinahe die Hälfte dieses Ziel für 2022 an. (Quelle: EY’s Global 3D Printing Report 2019, S. 6) Damit verbunden ist eine massive Änderung in der Supply Chain.

In den nächsten Jahren werden immer mehr 3D-Drucker für die Endfertigung von Produkten eingesetzt

CREM-Studie: Flächen müssen sich anpassen

Zu dieser Evolution bei den Produktionsprozessen kommen moderne Bürokonzepte wie Flex-Office oder Coworking hinzu, die sich ebenfalls auf die Flächennachfrage der Unternehmen auswirken werden.

All diese Faktoren machen es nachvollziehbar, dass die aktuelle Corporate-Real-Estate-Management-Studie unter Leitung von Andreas Pfnür einen hohen Bedarf an immobilienwirtschaftlicher Transformation bei deutschen Unternehmen ausweist: Zwei Drittel aller von deutschen Unternehmen genutzten Flächen müssten in den kommenden zehn Jahren an neue Arbeitswelten, an Flex-Office und die Veränderungen durch die Digitalisierung von Prozessen angepasst werden. Für 38,8 Prozent dieser Flächen führe dabei gemäß der Studie kein Weg an einer eigenen Projektentwicklung vorbei.

Wo wird es hingehen mit der Flächenplanung im Corporate Real Estate Management?

2019 veranschlagte Pfnür die Kosten für künftig notwendige Bauleistungen – hochgerechnet auf den Gesamtbestand des Immobilienvermögens von produktionsnahen Betrieben – jährlich auf etwa 88 Milliarden Euro. Damit werde der zukünftige Bedarf das durchschnittliche Fertigstellungsvolumen im Wirtschaftsbau der vergangenen Jahre um mehr als das Vierfache übersteigen.

Nur wenige wagen den ersten Schritt

Diese Erkenntnisse machen das Problem überdeutlich. Zwar wird es nicht von heute auf morgen eine Revolution des Flächenbedarfs geben. Der Big Bang, mit dem plötzlich an allen Ecken hochdigitalisierte Produktionsstätten der Zukunft aus dem Boden schießen, ist nicht zu erwarten. Aber Veränderungen werden dauerhaft eine Rolle spielen. Das mag sogar eine größere Herausforderung werden als nur ein einmaliger Umbruch. Denn das bedeutet für die Betriebe, dass kontinuierlich Know-how und Erfahrung bei der Revitalisierung von Objekten benötigt werden.

Das Fazit, dass Unternehmens- beziehungsweise Produktionsimmobilien flexibel gestaltet sein müssen, ist in diesem Zusammenhang inzwischen schon eine Binsenweisheit: Das gilt für Fragen des Flächenwachstums sowie für die Umrüstbarkeit der Fläche selbst.

Angesichts all dieser prognostizierten Entwicklungen haben Unternehmen die Notwendigkeit des Handelns zwar erkannt, benötigen jedoch Unterstützung. Viele wissen noch nicht, wie sie heute und in Zukunft mit den Veränderungen der Produktions- und Arbeitswelt umgehen sollen. Eine kurzfristige Aufstockung der Kapazitäten in den CREM-Abteilungen der Unternehmen, um die beschriebenen Anforderungen umzusetzen, dürfte schwierig werden. Auch ist fraglich, ob jenseits der fehlenden personellen Ressourcen die Erfahrungen für den künftigen steten Wandel überhaupt vorhanden sind.

Das Happy End erfordert Änderungen – auch bei Immobilienunternehmen

Im Märchen käme an dieser Stelle ein edler Ritter ins Spiel. Diese Rolle könnte die Immobilienwirtschaft übernehmen. Der Markt und die Nachfrage wären da. Projektentwickler, Vermieter und Co. verpassen jedoch oft ihre Chancen, weil sie sich mit ihrem Geschäftsmodell zu stark an den Anforderungen des Kapitalmarkts orientieren: Anteilseigner, Analysten und Investoren verlangen, dass die Unternehmen mit ihrer Strategie und in ihren Aktivitäten auf eine Assetklasse und einen Geschäftsbereich fokussiert sind. Sie erwarten vom Asset Manager den Abschluss von langfristigen Mietverträgen, die aktuell und künftig jedoch am Bedarf vorbeigehen. Und Projektentwickler sollen möglichst keine ungenutzten Reserveflächen vorhalten, weil diese nicht als Renditechance, sondern als Risiko wahrgenommen werden.

Eintrittsbarriere ist die Wertschöpfungskette

Gerade in der Coronakrise hat sich gezeigt, wie stabil die Assetklasse der Unternehmens- und Produktionsimmobilien ist – attraktiv also für das Portfolio von Immobilienunternehmen. Aber um dabei dauerhaft erfolgreich zu bleiben, gibt es eine maßgebliche Eintrittsbarriere: In einem Marktumfeld, in dem die Produktionsbedingungen sich kontinuierlich weiterentwickeln, ist ein Immobilienpartner vonnöten, der neben der Vermietung auch eine umfassende Projektentwicklung zügig und passgenau durchführen kann.

Dabei entstehen oft Immobilien, die mit den Produktionsanlagen nicht mehr verbunden sind. Hierin liegt ein maßgeblicher Unterschied zu den Fabrikhallen und Betriebsgebäuden der Vergangenheit. Heutzutage wird zumeist nur noch eine hochfunktionale Gebäudehülle bereitgestellt, die anschließend von den Betrieben mit Maschinen und Regalen bestückt wird. Diese Objekte im Portfolio eines Immobilienunternehmens dürften auch den Kapitalmarkt wieder erfreuen. Denn diese modernen Gebäude- oder Gewerbeparktypen sind äußerst flexibel und somit drittverwendungsfähig.

Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen

Bis der aktuelle Veränderungsbedarf zum Problem wird, dürfte noch einige Zeit vergehen. Gerade deshalb kann es für Unternehmen ratsam sein, sich von betriebsunwichtigen oder veralteten selbst genutzten Immobilien zu trennen – um sich im Gegenzug rechtzeitig zukunftsfähige Flächen zu sichern. Damit kann ein möglicher Wandel vom Eigentum zur Mietlösung verbunden werden, um schneller auf weitere Flächenveränderungen reagieren zu können und einen mehrmonatigen Verkaufsprozess nicht erst dann einzuleiten, wenn er unumgänglich wird.

Dafür sprechen in vielen Fällen auch die erzielbaren Verkaufspreise. Denn während die COVID-19-Pandemie zwar für wirtschaftliche Unsicherheit in Deutschland gesorgt hat, sind die Preise für Produktionshallen, Logistikobjekte und Industriegebäude bisher stabil geblieben und an vielen Standorten sogar gestiegen.

Von veralteten Immobilien sollte man sich besser jetzt trennen

Organisches Wachstum am neuen Standort

Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, bestehende veraltete Flächen eher zu früh als zu spät aufzugeben und stattdessen zu mieten: Eine Mietlösung kann deutlich flexibler sein, was die Zusammenstellung und die Kombination der einzelnen Flächentypen betrifft. In modernen Gewerbeparks beispielsweise lassen sich Produktions-, Logistik-, Service- und Backoffice-Bereiche miteinander kombinieren und erweitern.

In Zeiten von Corona und Industrie 4.0, also angesichts zweier „Game Changer“, für die sich nur sehr schwer Referenzen heranziehen lassen, können Unternehmen im Mietmodell flächenmäßig experimentieren. Welche Prozesse sich in welchen Immobilien am besten abbilden lassen, kann am besten aus dem laufenden Betrieb heraus beantwortet werden. Steht die Antwort einmal fest, können gezielt die benötigten Flächen hinzugemietet werden, wodurch einem organischen Wachstum am Standort nichts mehr im Wege steht.