„Wir konzentrieren uns nicht nur auf Neuansiedlungen – sondern auch auf die bestehenden Unternehmen“

Innovative Unternehmen anzusiedeln und langfristig zu binden, das ist auch für etablierte Wirtschaftsstandorte wie Mannheim sehr wichtig.

Interview mit Michael Grötsch, Bürgermeister für Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur der Stadt Mannheim

Innovative Unternehmen anzusiedeln und langfristig zu binden, das ist auch für etablierte Wirtschaftsstandorte wie Mannheim sehr wichtig. Schließlich geht es darum, auf lange Sicht wettbewerbsfähig zu sein. Aber wo liegen die größten Chancen und Hürden aus Sicht der Politik sowie der Wirtschaftsförderung? Das erläutert Michael Grötsch, Bürgermeister für Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur der Stadt Mannheim, im Interview.

Herr Grötsch, wie lassen sich Unternehmen in Ihrer Stadt erfolgreich ansiedeln und halten? 

Aus Sicht der Wirtschaftsförderung sind das zwei unterschiedliche Aufgaben. Bei der Ansiedlung neuer und innovativer Unternehmen kommt es heutzutage in erster Linie auf die Reaktionsgeschwindigkeit an. Ich erinnere mich an einen Fall, als wir morgens eine telefonische Anfrage aus dem Ausland bekommen hatten und am frühen Nachmittag der von dem interessierten Unternehmen mandatierte Makler schon auf dem Grundstück stand. Das war natürlich der Idealfall, zeigt aber, worum es geht: den Unternehmen von Anfang an zur Seite zu stehen und sie über den gesamten Prozess hinweg zu begleiten. Aber klar ist: Eine erfolgreiche Ansiedlung beginnt mit dem Erstkontakt.

Aber mit dem Erstkontakt ist es nicht getan …

Nein, das ist nur der allererste Schritt. Eine Ansiedlung erfolgreich durchzuführen, ist hochkomplex, wenn wir die gesamte Prozesskette betrachten. Das beginnt mit dem erwähnten Erstkontakt, es geht weiter mit den Vertragsverhandlungen und der Beurkundung des Grundstücks. Erst dann kommt die Genehmigungsphase – die übrigens für alle Beteiligten sehr herausfordernd ist, auch für die Kommunen.

Welche Herausforderung wiegt dabei am schwersten?

Die zunehmende regulatorische Komplexität – denn auch die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter sind an die verschiedensten Regularien von Bund und Ländern gebunden. Auch beim Bau der eigentlichen Immobilien müssen die Unternehmen unterstützt werden, da heutzutage eben auch eine Menge Zielkonflikte mit im Spiel sind. Das gilt vor allem für die Errichtung von Sonderimmobilien. Es geht um Bauhöhen, Grünerhaltung, Auflagen bei der Flächenversiegelung. Da heißt es, möglichst eng am Kunden zu bleiben und zusammenzustehen. Für uns in Mannheim ist es beispielsweise das Ziel, den gesamten Prozess – vom Erstkontakt über die Behördenmoderation bis zur Inbetriebnahme – so aktiv wie möglich zu begleiten. Dabei bieten wir unterschiedliche Services und Unterstützung an – denn wir wollen, dass sich die zukunftsstarken Unternehmen auch für den Standort Mannheim entscheiden.

Mannheim punktet neben hervorragender Infrastruktur auch mit Lebensqualität.

Wenn wir über Standortfragen sprechen, gibt es aber noch weitere Faktoren …

In Mannheim haben wir ein ausgeprägtes Investoren- und Projektentwicklernetzwerk – zu dem auch Aurelis gehört –, auf das die Unternehmen zurückgreifen können. Zum kleinen Einmaleins würde ich die Verkehrs-, Logistik- und Dateninfrastruktur zählen, die auf einem international vergleichbaren Niveau sein muss. Sonst kommt keiner. Auch weiche Standortfaktoren, wie Kultur- und Freizeitangebote sowie Lebensqualität, haben für Beschäftigte und Unternehmen einen hohen Stellenwert. Das sind dann die wichtigen Punkte, um Unternehmen auch langfristig zu halten.

Und die Verfügbarkeit von Fachkräften?

Unsere Wirtschaftsförderung beschäftigt ein dreiköpfiges Team, das sich mit dem Thema Fachkräftesicherung auseinandersetzt und Kooperationsformate mit hiesigen wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen vorantreibt. Ganz neu hier in Mannheim – und auch einmalig in Deutschland – ist ein von uns moderiertes Kooperationsformat der zwölf größten Unternehmen am Standort. Durch diese Kooperation sparen die Unternehmen Kosten und Ressourcen in Verbundprojekten. Dabei geht es beispielsweise um eine gemeinsame Energieversorgung, Kreislaufwirtschaft und den zentralen plattformbasierten Austausch von Fachkräften. Der Vorteil dieser sogenannten Place-based Economy ist, dass diese Unternehmen trotz ihrer Unterschiede zusammenarbeiten. Insbesondere in Querschnittsbereichen gibt es oft gleiche Problemlagen und Herausforderungen.

Das Turbinenwerk in Mannheim: Aurelis entwickelt das Projekt in enger Kooperation mit der Stadt.

Oftmals heißt es, Kommunen seien vor allem an bestimmten Branchen interessiert, beispielsweise Biotech, Chemie, IT oder Automotive. Geraten dabei andere Branchen aus der Sicht?

Diese Gefahr besteht mit Sicherheit. Deshalb muss eine kluge und vorausschauende Wirtschaftsförderung die Entwicklung neuer Strukturen beispielsweise in nachhaltigen Technologiefeldern betreiben. Doch auch die klassischen Mittelständler, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bieten, dürfen nicht vernachlässigt werden. Ich bin überzeugt, dass wir trotz unseres Strebens nach Neuansiedlungen niemals die Bestandsunternehmen aus dem Blick verlieren dürfen. Wir fokussieren uns auf beides und nennen das komplementäre Strukturentwicklung. Was heißt das für Mannheim? Unsere Bestandsunternehmen stellen rund 192.000 Beschäftigte. Ein einprozentiges organisches Wachstum im Unternehmensbestand pro Jahr erzeugt oftmals mehr Wertschöpfung und Beschäftigung als alle Gründungen und Ansiedlungen innerhalb eines Jahres zusammen. Das heißt, wir fördern und erschließen gerne neue und innovative Unternehmen und richten eigene Cluster-Managements dafür ein – wir dürfen aber eben auch unsere Basis nicht außer Acht lassen. Und das sind die Unternehmen, die schon da sind.

Ist es möglich, sich an anderen erfolgreichen Regionen zu orientieren, oder sind die Bedingungen dafür zu unterschiedlich?

Manche Erfolgsfaktoren sind durchaus vergleichbar, andere überhaupt nicht. Lageabhängige Erfolgsfaktoren sind beispielsweise politische Rahmensetzungen. Wenn sie andernorts gleich sind, kann man sich von den entsprechenden Kommunen in der Tat etwas abschauen. Bezüglich lageunabhängiger Leistungsmerkmale kann man immer dazulernen. Ich denke beispielsweise an Services und Reaktionszeiten. So oder so: Es gibt kein Rezept von der Stange.

Um als Logistikstandort weiterhin attraktiv zu bleiben, orientiert sich Mannheim auch an den Bedürfnissen der Unternehmen.

Einige Regionen werden vor allem mit sehr erfolgreichen Unternehmen in Verbindung gebracht: Mainz mit Biontech, Walldorf mit SAP, Künzelsau mit Würth. Welche positiven und negativen Folgen kann eine solche Prägung haben?

Vor rund 30 Jahren hat der Wirtschaftswissenschaftler Michael Porter die Idee der Clusterbildung ins Leben gerufen. Rund um einen industriellen Leuchtturm siedeln sich verwandte und unterstützende Unternehmen an und bilden dafür ein hocheffizientes und spezialisiertes Wertschöpfungsnetzwerk. Das kann für einen Standort ein Glücksfall sein. Andererseits werden dadurch riskante Monostrukturen geschaffen.

Warum riskant?

Solche monolithischen Strukturen können für kleinere und mittlere Unternehmen oder auch wissenschaftliche Einrichtungen im Umfeld ein Problem darstellen, weil sie beispielsweise keine Fachkräfte mehr gewinnen können. Insgesamt besteht das Problem der fehlenden konjunktur- und wirtschaftspolitischen Risikostreuung. Was ist, wenn so ein Leuchtturm aufgrund externer Ereignisse und Krisen ins Wanken gerät oder auch von einem Wettbewerber übernommen wird? Deshalb ist man gut beraten, neben den Platzhirschen auch einer breit aufgestellten mittelständischen Wirtschaft Raum zu geben.

Wie sollten wir in Deutschland auf schleichende Negativtrends in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit reagieren, die langfristig dafür sorgen könnten, dass ein Unternehmen den Standort wechselt?

Es besteht immer das Problem, dass es solche Faktoren gibt, auch kleinräumig und kurzfristig. Wir haben beispielsweise nicht immer Einfluss auf die Lohnentwicklung und die Lohnkosten, die sich auch mal von Region zu Region abhängig von den jeweiligen Tarifverträgen unterscheiden können. Auch Punkte wie Energieversorgung und -kosten sind für einen Industriestandort wie Mannheim ein Riesenthema – genauso wie die demografische Entwicklung. Wir versuchen, das im Blick zu behalten, soweit es unser Instrumentenkasten auf kommunaler Ebene erlaubt.

Wie verhält es sich eigentlich mit Nutzungen, die ein eher schlechtes Image genießen, wie Lager oder Logistik?

Mannheim ist nicht nur ein wichtiger Industrie- und Technologiestandort, sondern auch ein wichtiger Logistikstandort. Uns ist klar, dass geeignete Gebäude und Hallen die Voraussetzungen für unser produzierendes Gewerbe sind. Das heißt für uns, dass wir die bereits vorhandenen Logistikstandorte so weiterentwickeln müssen, dass sie den Erfordernissen der Unternehmen entsprechen. Klar ist, dass das immer komplizierter wird, auch kommen die Stichworte Nettonullversiegelung und Innenentwicklung wieder zur Geltung. Wir schaffen es immer wieder, auch hier in Mannheim, interessante und wichtige Logistikstandorte zu realisieren.

Das Turbinenwerk in Mannheim ist das Herzstück des Strukturwandels in der Stadt.

Michael Grötsch, Bürgermeister für Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur der Stadt Mannheim

Sollten Kommunen stärker auf interkommunale Zusammenarbeit und Planung setzen, anstatt um die attraktivsten Unternehmen zu konkurrieren?

Im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge gibt es diese Zusammenarbeit schon. Aber sie stößt dort an Grenzen, wo es unterschiedliche Auftraggebende, Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Entscheiderinnen und Entscheider gibt. Wenn man sie entfesseln will, müsste es Änderungen der öffentlich-rechtlichen und fiskalpolitischen Rahmensetzungen geben. Wenn es aber um die Frage der Ansiedlungen geht, dann ist es oft schwierig: Wer profitiert, wer trägt die Lasten? Eine strukturelle Arbeitsteilung zum gegenseitigen Nutzen ist wünschenswert, funktioniert aber nur, wenn die Kommunen nicht um dieselben Unternehmen konkurrieren – was jedoch nahezu immer der Fall ist.

Welche Anforderungen und Wünsche stellen Sie an Immobilienunternehmen vor dem Hintergrund der weiteren positiven Entwicklung von Wirtschaftsregionen?

Da gibt es diverse Punkte. Ich denke an eine stärkere Konzentration auf Innenentwicklung und Revitalisierung von Immobilien. Es geht auch darum, Technologien und Innovationen, zum Beispiel kreislauffähige und klimaschonende Baustoffe und Bauweisen, in die Planungen und Projekte besser einzubeziehen. Aurelis ist dafür mit Sicherheit ein sehr gutes Beispiel. Das Turbinenwerk in Mannheim ist immerhin das Herzstück des Strukturwandels in der Stadt. Damit hat sich Aurelis nicht nur als ein Immobilienentwicklungspartner, sondern als ein strategischer Standortentwicklungspartner erwiesen.