Ja zur Sanierungspflicht

Portraitfoto von Philipp Enenkel, Leiter Real Estate Management
Ein Beitrag aus der Immobilien Zeitung Nr. 9/2022 vom 3. März 2022

In der letzten Ausgabe kritisierte an dieser Stelle Andre Schmöller Pläne für eine Sanierungspflicht. Philipp Enenkel, Leiter Real Estate Management bei Aurelis, hält dagegen: Er sieht die Vorteile.

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2021 den Entwurf für eine weitreichende Sanierungspflicht vorgelegt: Wohngebäude der Energieeffizienzklassen G und H mit einem erhöhten Heizwärmebedarf sollen bis spätestens 2030 auf die Standards der Energieklasse F angepasst werden. Für Gewerbeimmobilien sind die Ziele mit einem Zeitrahmen von 2027 noch ein wenig ehrgeiziger.

Das mag zunächst wenig beeindruckend klingen, schließlich ist Klasse F meilenweit von den gängigen Neubaustandards entfernt. Doch wer das Neubauvolumen in Relation zum gesamten Gebäudebestand setzt, erkennt schnell: Der Großteil der Klimafrage wird jenseits der Neubauprojekte mit Gold- oder Platinzertifikaten entschieden. Denn selbst in den relativ neubaustarken Jahren der vergangenen Dekade machte das neu entstehende Flächenvolumen durch Projektentwicklungen auf der grünen Wiese einen verschwindend geringen Anteil aus, verglichen mit der Fläche der Millionen Bestandsgebäude. Bei Gewerbeimmobilien lag der Anteil 2020 bei nicht einmal einem halben Prozent. Vor allem jenseits der Vorzugslagen herrscht in vielen Fällen starker Instandhaltungsstau.

Im Wohnsegment erfüllen dem Forschungsinstitut F+B zufolge 6,8 % aller Mietwohnungen nicht die Mindestanforderungen der Energieklasse F. Das entspricht rund 1,5 Mio. sanierungsbedürftigen Einheiten. Nimmt man die Differenz von 50 kwh/m2 zwischen dem Mindestmaß von Energieklasse F und dem von Energieklasse G als groben Richtwert, ergäbe sich angesichts einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 92 m2 durch die Sanierung ein Einsparpotenzial von rund 6.900 Gigawattstunden jährlich. Zum Vergleich: Das leistungsstärkste deutsche Atomkraftwerk, Isar 2, produzierte im ganzen Jahr 2019 rund 12.000 Gigawattstunden.

Eine Sanierungspflicht mag zunächst wie ein Holzhammer wirken, und weder Immobilienwirtschaft noch private Eigentümer dürften sich über eine weitere Pflicht freuen. Doch es setzt die richtige Priorität: Sanierung statt nur immer höhere Neubaustandards. Die Vorgabe der Energieklasse bis zu einem konkreten Zeitpunkt wäre eine klare Zielgröße, mit der sich gut arbeiten ließe. Die notwendigen Sanierungen sollten dann allerdings nicht nur gefordert, sondern auch entsprechend gefördert werden.

Der falsche Weg wäre es, veraltete Gebäude mit hohen Emissionen einfach abzureißen und neue zu errichten. Dieses Vorgehen mag zwar dazu führen, dass die Neubauten auf diesen Grundstücken im Betrieb eine tadellose Energiebilanz vorweisen. Doch die grauen Emissionen, die durch Abriss und Neubau entstünden, werden oftmals außer Acht gelassen. Und so würde erheblich mehr Nachhaltigkeit suggeriert, als tatsächlich erzielt werden könnte.

https://www.iz.de/meinung/news/-ja-zur-sanierungspflicht-2000004798