Klimawende: Was kann eine Revitalisierungsoffensive bewirken?

Erschienen in: Immobilien & Finanzierung | Digitaler Sonderdruck | Ausgabe 7/2022

Nach Berechnungen des DIW wurden in Deutschland zuletzt rund 50 Milliarden Euro pro Jahr für energetische Sanierungsmaßnahmen im Wohngebäudebestand ausgegeben. Die tatsächlich erforderlichen Mittel werden allerdings mit einem Betrag von jährlich bis zu 150 Milliarden Euro veranschlagt, der gewerbliche Sektor ist hier noch gar nicht berücksichtigt. Die viel zitierte Sanierungswelle muss also erst noch entfesselt werden. Viele gute Argumente für Immobilienbestandshalter und Politik finden sich im nachfolgenden Beitrag. Die Überzeugung des Autors: Nur die Kombination aus Fördern und Fordern führt zum Erfolg. (Red.)

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Die Rolle des Gebäudesektors bei der Bewältigung der Klimawende ist enorm: Gemäß dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen verursacht er rund ein Drittel der globalen CO2-Emissionen und nimmt etwa 40 bis 50 Prozent der verfügbaren Ressourcen in Anspruch.

Enorme finanzielle Belastungen durch steigende Energiepreise

Momentan wird das Thema von einem weiteren ernsten Faktor beeinflusst, dessen Ursache vor einigen Jahren noch undenkbar schien: den rasant gestiegenen Energiepreisen infolge des Krieges in der Ukraine. Dieser Aspekt betrifft die gesamte Immobilienbranche schon jetzt und wird es in Zukunft weiterhin tun.

Beide genannten Faktoren sorgen vor allem in ihrer Kombination für große Herausforderungen. Schließlich könnten hohe Verbräuche und Emissionswerte angesichts der gestiegenen Energiepreise schon sehr bald dafür sorgen, dass zahlreiche deutsche Haushalte genauso wie mittelständische Unternehmen enormen finanziellen Belastungen ausgesetzt sind – und somit in Schwierigkeiten geraten, ihre Nachzahlungen zu leisten oder gar die Miete pünktlich überweisen zu können.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, darf sich die deutsche Immobilienbranche nicht allein auf Neubauvorhaben mit DGNB-Platin-Zertifikat konzentrieren. Diese Projekte haben zwar eine große Strahlkraft und veranschaulichen, was für Wohn- und Gewerbeimmobilien künftiger Generationen alles möglich ist. Die eigentliche Klimafrage wird jedoch im Bestand entschieden.

Denn zum einen zeigt ein Vergleich der Gesamtfläche, wie gering der Anteil an Neubauimmobilien (selbst in baustarken Jahrgängen) verglichen mit dem Bestand ausfällt. Beispiel Gewerbeimmobilien: Dort betrug der fertiggestellte Neubau 2020 im Segment „Nichtwohngebäude“ dem Statistischen Bundesamt zufolge 29,2 Quadratkilometer, der Bestand an Industrie- und Gewerbeflächen liegt hingegen bei 6.244 Quadratkilometern.

Die Klimafrage wird im Bestand entschieden

Demgegenüber steht eine Emissionslast, die mit 120 Millionen Tonnen über alle Nutzungsarten hinweg im Jahr 2020 gemäß dem Umweltbundesamt zwei Prozent über dem Grenzwert lag. Bis 2030 soll der jährliche CO2-Ausstoß auf 72 Millionen Tonnen pro Jahr gesenkt werden. Gewerbe- und vor allem Industrieimmobilien spielen hierbei aufgrund ihrer Flächengröße und der energieintensiven Betriebsweise eine erhebliche Rolle.

Wie also sollten Eigentümer beziehungsweise Immobilienentwickler am besten mit ihren sanierungsbedürftigen Beständen verfahren? Abreißen und nach hohen Energiestandards neu bauen oder besser die Bestände behutsam sanieren? Auch wenn bei einer Sanierung im laufenden Betrieb oft nicht in vollem Maße die Energieeffizienz eines Neubaus erreicht werden kann, spielt vor allem die „graue“ Energie eine wichtige Rolle.

Graue Energie – unscheinbar, aber hochrelevant

Sie umfasst die CO2-Emissionen, die bei der Fertigung der Baustoffe, bei deren Transport zur Baustelle und bei der Errichtung des Gebäudes erzeugt werden. Auch die Emissionen, die durch den Abriss und die Abtragung der alten Bausubstanz freigesetzt werden, fallen in diesen Bereich. Im Unterschied zum Energieverbrauch im laufenden Betrieb lässt sich diese graue Energie nicht immer vollumfänglich und auf empirischer Basis messen.

Bei einer Studie der Werner Sobek AG zu einem groß angelegten Revitalisierungs- und Konversionsprojekt des Entwicklers 6B47 in Wien konnte jedoch errechnet werden, dass mehr als 18.500 Tonnen CO2 eingespart wurden – verglichen mit dem fiktiven Abriss und Neubau des Büroobjekts. Das bedeutet, es kann viele Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, bis eine effizient betriebene Neubaufläche den Effekt der verbrauchten grauen Energie wieder ausgleichen kann.

Häufig ist es daher der sinnvollere Weg, die bestehende Bausubstanz so zu revitalisieren, dass der Lebenszyklus der Immobilie erheblich verlängert wird. In einigen Fällen können dabei die bestehenden Grundstücke besser ausgenutzt werden, indem aufgestockt oder angebaut wird und Freiflächen nachverdichtet werden.

Auch für Gebäudenutzer kann eine Revitalisierung die verträglichere Variante darstellen. Schließlich können Abriss und Neubau nur dann erfolgen, wenn die besagte Immobilie leer steht. Dabei ist monate- oder gar jahrelang keine Nutzung des Areals möglich. Bei Sanierungen ist es gegebenenfalls möglich, Teile der Arbeiten im laufenden Betrieb vorzunehmen. Somit müssen die Aktivitäten der Mietparteien in den Immobilien allenfalls teilweise oder nur für kurze Zeit ruhen.

Auch die Politik hat das Problem der veralteten Bestandsimmobilien und ihre Schlüsselrolle bei der Klimawende seit Längerem im Blick. Neben der EU-Taxonomie beziehungsweise der Offenlegungsverordnung, die seit Anfang 2021 sukzessive in Kraft tritt und die vor allem Fondsgesellschaften betrifft, stehen weitere Gesetzesentwürfe im Raum.

Was brächte eine Sanierungspflicht?

Von großer Bedeutung könnten dabei die Vorschläge zur Überarbeitung der EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie sein, besser bekannt als Vorschlag zu einer „Sanierungspflicht“. Diese sieht Folgendes vor: Alle Wohnimmobilien, die aktuell nicht den Standards der Energieeffizienzklasse F entsprechen – also Immobilien mit einem Endenergieverbrauch von maximal 199,99 Kilowattstunden pro Quadratmeter –, müssen bis 2030 so weit saniert werden, dass sie dieses Niveau erreichen. Ab 2033 gilt dann die Effizienzklasse E mit einem Maximalverbrauch von 159,9 Kilowattstunden je Quadratmeter als Standard. Für Gewerbeimmobilien besteht noch weniger Spielraum. Deren Flächen müssen bis 2027 der Klasse F und bis 2030 der Klasse E entsprechen (siehe Abbildung 1).

Von den eingangs erwähnten Leuchtturmprojekten mit Platin-Zertifikat sind diese Mindeststandards meilenweit entfernt – und sie liegen auch deutlich unter dem, was inzwischen für Neubauimmobilien als gesetzlicher Mindeststandard gilt. Dementsprechend erscheint der mögliche Effekt einer solchen Sanierungspflicht zunächst nicht sonderlich beeindruckend. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Das Gegenteil ist der Fall!

Wesentlicher Effekt für das Klima

Um die Dimension zu verstehen, die eine Sanierungspflicht hätte, kann näherungsweise die folgende Rechnung aufgestellt werden: Im gemittelten Wert der Jahre 2017 bis 2020 entsprachen 6,8 Prozent aller deutschlandweit inserierten Mietwohnungen nicht den Standards der Energieklasse F. Nimmt man nur das Jahr 2020, sind es immerhin noch 5,9 Prozent (siehe Abbildung 2).

Das Statistische Bundesamt (Destatis) verzeichnete 2020 einen Wohnungsbestand von 42,8 Millionen Wohneinheiten. Bei einer Quote an Mietwohnungen von 53,5 Prozent (ebenfalls gemäß Destatis) ergeben sich rund 22,9 Millionen Mietwohnungen für das Betrachtungsjahr. Setzt man hier die ermittelten 5,9 Prozent an sanierungspflichtigen Wohnungen an, ergibt sich eine Zahl von 1,35 Millionen Einheiten.

Gemäß einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 92 Quadratmetern laut Umweltbundesamt wären dies circa 124 Millionen Quadratmeter sanierungsbedürftige Fläche. Dieser grob überschlagene Wert zeigt bereits, wie viel Arbeit auf die Branche bei einer Sanierungspflicht zukäme.

Welchen Klimaeffekt hätte dies nun? Da wird die Rechnung zugegebenermaßen spekulativ. Nimmt man allein die Differenz von 50 Kilowattstunden je Quadratmeter und Jahr zwischen dem Mindestmaß der Energieklasse F und dem der Energieklasse G, ergibt sich eine jährliche Einsparung von 6.215 Gigawattstunden.

Bedenkt man, dass das leistungsstärkste deutsche Atomkraftwerk, Isar 2, im gesamten Jahr 2019 insgesamt rund 12.000 Gigawattstunden Strom produzierte, zeigen sich die enormen Potenziale. Zu beachten ist, dass bei dieser Rechnung bereits alle Gebäude der Energieklasse H, die nicht einmal die niedrigsten existierenden Mindeststandards erfüllen, gedanklich „hochgestuft“ und als Klasse-F-Immobilien mit eingerechnet wurden. Der tatsächliche Effekt dürfte also nochmals höher liegen.

Nur die Kombination aus Fördern und Fordern führt zum Erfolg

Keine Frage: Derartige regulatorische Auflagen sind zunächst kapitalintensiv, und „Zwangsmaßnahmen“ sind immer auch Eingriffe in Eigentumsrechte. Dies gilt sowohl für die professionellen Eigentümer von Immobilienbeständen als auch für die privaten Vermieter, in deren Besitz sich ein signifikanter Teil der deutschen Wohnimmobilien befindet.

Doch an dieser Stelle wäre eine gesetzliche Verpflichtung durchaus vernünftig und vertretbar, da sie die richtigen Akzente in Richtung Bestandssanierung setzt und somit ein richtiges und wichtiges politisches Leitbild in einen rechtlichen Rahmen gießt. Die Energieklassen bieten zwar eine eher abstrakte, aber verständliche und erreichbare Zielgröße, die eben genau am Bestand ansetzt.

Allerdings sollten Bestandssanierungen nicht nur gefordert, sondern auch adäquat gefördert werden. Deshalb ist es wichtig, dass die KfW-Sanierungsprogramme ohne empfindliche Einschränkungen weiterlaufen. In dieser Hinsicht erleben wir glücklicherweise positive Impulse aus der Politik. Anders als bei der Neubauförderung, bei der die Fördertöpfe für KfW-40-Effizienzhäuser in Höhe von einer Milliarde Euro bereits nach wenigen Stunden aufgebraucht wurden, laufen die Förderprogramme für Bestandssanierungen weiter.

Im März wurde das Programm nochmals um 4,76 Milliarden Euro aufgestockt. Doch auch dort kann es durchaus geschehen, dass ein Konkurrenzdenken um die Gelder entsteht: Wer zuerst einreicht, wird zuerst gefördert. Vor diesem Hintergrund sollte der Gesetzgeber unbedingt sicherstellen, dass über den gesamten Zeitraum bis zur Fälligkeit im Jahr 2027 beziehungsweise 2030 ausreichend Mittel bereitgestellt werden.

Föderalismus erhöht den Prüfaufwand

Eine weitere Maßnahme, welche ohne zusätzliche Fördermittel die Bestandssanierungen auf einfache Weise beschleunigen könnte, wäre eine einheitliche Sanierungsoffensive anstelle der weitgehenden Regionalität weiterer Förderprogramme.

Denn neben der KfW bezuschussen auch zahlreiche Landesbanken sowie landeseigene Förderinstitute die Modernisierung – dies jedoch in aller Regel nach jeweils ganz eigenen „landestypischen“ Vorgaben.

Für größere Bestandshalter, die bundesweit aktiv sind, kann also das Kleingedruckte dafür sorgen, dass sie in einigen Bundesländern effektiver sanieren können als in anderen. Ein weiterer Punkt besteht darin, dass einige Förderungen nur als Kreditvariante existieren, nicht aber als Zuschussvariante. Dies sorgt dafür, dass Bestandshalter, die ausschließlich mit Eigenkapital agieren, einige Fördermittel womöglich gar nicht in Anspruch nehmen können.

Mit anderen Worten: Eine (verpflichtende) Sanierungsoffensive kann zu einem größeren Erfolg werden, wenn gleichzeitig ausreichend Anreize geschaffen und überflüssige bürokratische Hürden gesenkt werden. Zusätzlich sollten weitere sinnvolle Förderprogramme entwickelt werden, die nicht nur die konkreten Maßnahmen bezuschussen, sondern vor allem kleineren Immobiliengesellschaften oder auch Eigentümern ohne besondere Immobilienexpertise das nötige Wissen für die Sanierungskampagne zur Verfügung stellen.

Die Banken sind erfolgsentscheidend

Nicht zu unterschätzen ist ein weiterer Faktor, der über das Wohl und Wehe einer Sanierungsoffensive entscheidet: das Vorgehen der Finanzierer. Zweifellos wachsen die Herausforderungen für Banken und andere Finanzierer – dafür sorgen die immer strenger werdenden Eigenkapitalvorschriften der Banken und Sparkassen (Stichwort: Basel IV) sowie das seit Jahren schleichende Auseinanderdriften der regulatorischen Beleihungswerte von den tatsächlichen Marktwerten. Somit ist es verständlich, dass gerade für komplexere Gewerbeimmobilienprojekte höhere Sicherheitsmargen verlangt werden.

Die Sanierungsoffensive der deutschen Bestandsimmobilien wird deutlich stärker in den Fokus der Kreditgeber gelangen.

Philipp Enenkel, Leiter Real Estate Management bei Aurelis

Angesichts der Teuerungsraten hat nicht nur die US-Notenbank Fed, sondern inzwischen auch die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen angehoben. Historisch gesehen können sich die Banken jedoch nach wie vor günstig mit Kapital eindecken – daher sollten auch die Finanzierungskonditionen für Immobilienentwickler erschwinglich bleiben.

Wir erleben allerdings schon, dass die durchschnittlichen Bauzinsen über alle Assetklassen hinweg bereits seit Anfang 2022 signifikant gestiegen sind und sich deutlich über dem Niveau der Leitzinsen bewegen. Bei einer Marktrealität mit nach wie vor niedrigen Renditen und ständig steigenden Baukosten bleibt den Entwicklern also nur relativ wenig Spielraum für groß angelegte Sanierungsvorhaben beziehungsweise Revitalisierungsprojekte.

Selbst bei der nun eingeleiteten moderaten Zinswende, bei der die Leitzinsen hinter der Inflationsrate, also „behind the curve“ bleiben, sollte die Kreditvergabepraxis zu gemäßigten Konditionen erfolgen. Dies lässt den Entwicklern mehr Handlungsspielraum und würde sich auf lange Sicht auch für die Finanzierer selbst lohnen – oder andersherum: Es könnten Negativfolgen entstehen, wenn diese Unterstützung ausbleibt.

Erschwingliche Finanzierungskosten – auch im Interesse der Institute

Zahlreiche nicht nachhaltige Gewerbeimmobilien, die aktuell noch wirtschaftlich betrieben werden, könnten beispielsweise in relativ kurzem Zeitraum zum „Stranded Asset“ werden: Erst verringert sich die Zahl der potenziellen Käufer, da die entsprechenden Immobilien nicht mehr taxonomiekonform sind und entsprechend von Fondsmanagern und ähnlichen Akteuren nicht mehr erworben werden.

Anschließend werden die Nutzerinnen und Nutzer, deren eigene ESG-Regularien die Anmietung von nachhaltigen Flächen vorschreiben, nach Ende des Mietzyklus auf nachhaltige Immobilien ausweichen. Für die dann unattraktiven Immobilien ist dies mit deutlichen Abwertungen verbunden, sodass die ursprünglichen Immobilienfinanzierungen zum faulen Kredit werden könnten.

Doch auch das positive Gegenteil ist denkbar. Schließlich werden einer Umfrage der Anwaltskanzlei Addleshaw Goddard LLP zufolge 80 Prozent aller Finanzierer ihre Kreditvergabe an Immobilienunternehmen einstellen, sofern diese nicht nachhaltig agieren. Somit rückt der Fokus sehr viel stärker auf „grüne“ Projekte.

Die groß angelegte Sanierungsoffensive der deutschen Bestandsimmobilien als wichtiger Faktor für das Erreichen der Klimaziele im Gebäudesektor könnte deshalb deutlich stärker in den Fokus der Kreditgeber gelangen. Zumindest dann, wenn die Immobilienbranche Aufklärungsarbeit leistet und transparent die Wichtigkeit von Bestandssanierungen aufzeigen kann.

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