Sanieren statt aussitzen – Gewerbeimmobilien in Zeiten von Energiekrise und EU-Taxonomie

Portraitfoto von Dr. Joachim Wieland, CEO Aurelis
Erschienen in: Handelsblatt Journal | Sonderveröffentlichung zum Thema Immobilienwirtschaft | Oktober 2022

Preissteigerungen von 42,9 % für Strom, Gas und andere Brennstoffe sowie von 36,6 % für Heizöl und Kraftstoffe – diese vom Statistischen Bundesamt gemeldeten Anstiege von August 2021 bis August 2022 zeigen klar: Der Löwenanteil der insgesamt 7,9 %igen Inflationsrate (Stand 08/2022) ist auf den Energiesektor zurückzuführen.

Für viele Unternehmen sind diese Kostensteigerungen eine empfindliche Mehrbelastung, die sogar dazu führen kann, dass wichtige Investitionsentscheidungen – etwa in eine grünere Zukunft – hinausgezögert oder komplett auf Eis gelegt werden. Für zahlreiche kleinere und mittelgroße Unternehmen steht die Frage im Mittelpunkt, wie sie energietechnisch durch den Winter kommen. Wie und womit geheizt und/oder produziert wird, scheint inzwischen fast nebensächlich, solange nur die Kosten nicht völlig explodieren.

Für den Immobiliensektor wird das Umfeld ebenfalls rauer. Nicht nur die Energiekrise spielt eine wichtige Rolle, sondern auch die deutlich erhöhten Finanzierungskosten, die – je nach Nutzungsart – moderate bis deutliche Abschwünge in den Preisniveaus bewirken werden. Gleichzeitig sind die Baukosten stark gestiegen, im Mai 2022 lag das Plus bei 17,6 % verglichen mit dem Vorjahresmonat. Dieses Zusammenspiel führt dazu, dass sich die Finanzierung und die Umsetzung von Neubauten sowie „grüner“ Modernisierungsmaßnahmen weiter verteuern – und das, obwohl wir sie angesichts der aktuellen Lage mehr denn je benötigen.

Aufschieben ist keine Lösung

Der Impuls, zunächst abzuwarten und die Krise auszusitzen, mag im ersten Moment nachvollziehbar sein. Allerdings lohnen sich energetische Sanierungen gerade im aktuellen Umfeld auch wirtschaftlich, da sie nach wie vor staatlich umfangreich gefördert werden. Regulierungen wie die CO2-Steuer und nicht zuletzt die Sanierungspflicht, gemäß derer Nichtwohngebäude bis 2027 die Energieeffizienzklasse F und bis 2030 Klasse E erreichen müssen, sorgen gerade jetzt für Handlungsdruck.

Angesichts der jährlichen Emissionslast von 120 Millionen Tonnen CO2 für Wohn- und Gewerbeimmobilien, die vom Umweltbundesamt 2020 gemeldet wurden, und des erklärten Ziels, diesen Ausstoß bis 2030 auf 67 Millionen Tonnen pro Jahr zu senken, ist ein solcher Druck politisch gewollt und womöglich sogar notwendig. Die erwähnte Sanierungspflicht ist hierbei ein wichtiger Bestandteil.

Für Gewerbeimmobilien dürften die Auswirkungen einer Sanierungspflicht noch deutlicher werden als im Wohnsegment: Besonders bei Gewerbeparks, Logistikhallen und anderen Industrieobjekten lassen sich durch die richtigen Maßnahmen erhebliche Effekte erzielen, denn sie verfügen verglichen mit Wohnungen über größere zusammenhängende Flächen und werden energieintensiver betrieben. Wird zudem „grüner“ Strom zugekauft oder sogar eigene Energie mithilfe von Photovoltaik erzeugt, kann noch deutlich mehr eingespart werden.

Wer grüne Investitionen in die Zukunft schiebt, riskiert die Entstehung von „Stranded Assets“.
Portraitfoto von Dr. Joachim Wieland, CEO Aurelis
Dr. Joachim Wieland CEO Aurelis Real Estate

Was aber wesentlich wichtiger ist: Wer grüne Investitionen in die Zukunft schiebt, riskiert die Entstehung von „Stranded Assets“. Bei Verkäufen oder Neubewertungen werden Unternehmen dann mit hohen Abschlägen auf ihre nicht den Nachhaltigkeitskriterien entsprechenden Immobilien rechnen müssen. Diese werden um ein Vielfaches höher sein als die Investitionskosten im Vorfeld. Und auch vonseiten der Mieter:innen sind künftig nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Energiekosten hohe Anforderungen zu erwarten.

Modernisieren – aber wie?

Es lohnt sich also, besser heute zu modernisieren als morgen. Komplizierter wird es bei der Frage, wie genau modernisiert werden soll. Zwar steht fest, dass eine Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 und negative Emissionen bis 2050 erreicht werden sollen. Genauso, dass der Löwenanteil der Immobilienbestände aus dem Jahr 2050 bereits heute entwickelt ist und sich die Klimafrage überwiegend im Segment der Bestandsimmobilie entscheidet. Wie jedoch der genaue Weg dahin aussieht, kann aktuell kein:e noch so versierte:r Expert:in belastbar sagen – auch weil die wichtigen Institutionen wie das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der UN sowie andere Projekte, beispielsweise seitens der EU, unterschiedliche Definitionen und Grundlagen liefern.

Scoringmodelle schaffen Vergleichbarkeit

Ein erster wichtiger Schritt zu einer transparenten und vergleichbaren Datenbasis besteht darin, den Ist-Stand der Immobilienbestände zu analysieren und zu dokumentieren, um daraus Optimierungspotenziale abzuleiten. Denn anders als Neubauimmobilien, die inzwischen in aller Regel auf Basis der gängigen Zertifizierungssysteme wie DGNB oder LEED erfasst werden, gibt es für die Bestandsanalyse noch keine standardisierten Zertifizierungen in diesem Umfang.

Einen wichtigen Maßstab für die Bewertung von Bestandsimmobilien liefert das inzwischen von vielen internationalen Investoren geforderte Scoring-Modell der Organisation GRESB B.V. (Global Real Estate Sustainability Benchmark). Mithilfe dieses Modells werden Bestandsportfolios über unterschiedliche Assetklassen und Standorte hinweg bewertet. Dies erfolgt durch ein einheitliches Reporting auf Basis von verschiedenen Aspekten, unter anderem auch von Indikatoren der Global Reporting Initiative. Da diese den internationalen Standard für Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen aller Art bilden, werden die zahlreichen komplexen Parameter in einen Gesamtkontext gesetzt und vergleichbar gemacht.

Auf Objektebene lassen sich mithilfe von GRESB Optimierungspotenziale ableiten, um Immobilien durch gezielte Investitionen aufzuwerten und die Entstehung von „Stranded Assets“ zu vermeiden.

Nachhaltigkeit entsteht auf der Fläche

Trotz aller Score-Werte und Klassifizierungen entsteht die tatsächliche Nachhaltigkeit auf der Fläche. Sie ist das Resultat einer Summe von spezifischen Optimierungsmaßnahmen, die im Rahmen einer Objektstrategie ihre positive Wirkung potenzieren. Dabei empfiehlt es sich, zunächst die ältesten oder am wenigsten nachhaltigen Immobilien, also die „Worst Performing Assets“ zu identifizieren, da dort die größte Hebelwirkung zu erzielen ist.

Neben der Modernisierung der Heizanlage, dem Austausch von Leuchtmitteln und weiteren Maßnahmen ist es am wichtigsten, die Betriebskosten der Mieter:innen aktiv zu managen. Denn eine Fläche mag noch so energiesparend sein – wenn sie nicht nachhaltig bewirtschaftet wird, weil beispielsweise die Klimaanlage auch nachts oder bei offenem Fenster angeschaltet bleibt, wird sie zum Energiefresser.

Daher werden die Verbräuche inzwischen immer häufiger durch Smart- und Submetering-Systeme erfasst. Diese „smarten“ Stromzähler können Verbräuche beinahe in Echtzeit erfassen und den einzelnen Mieteinheiten zuordnen. Ineffiziente Betriebsweisen werden so nicht erst durch die nächste Nebenkostenabrechnung aufgedeckt. Außerdem können die Verbräuche präzise in die Reportings (z. B. für GRESB) einfließen, um Objekte noch nachhaltiger im Sinne des Dekarbonisierungspfads zu gestalten.

Fast vollständige Dekarbonisierung durch Umstellung des Energiebezugs

Den rechtlichen Rahmen für diese stetige Optimierungsarbeit bieten sogenannte Green Leases, also „grüne“ Mietverträge, die sowohl die Mieter- als auch die Vermieterseite zu einer nachhaltigen Betriebsweise verpflichten. In bestehenden Mietverträgen sind solche Vereinbarungen beispielsweise bei Vertragsverlängerungen oder -anpassungen möglich. Außerdem bieten sie sich an, wenn das Immobilienunternehmen umfassende Investitionen plant, welche die mietenden Unternehmen unmittelbar betreffen.

Aurelis hat kürzlich eine eigene Energie GmbH gegründet und wird auf ausgewählten Dachflächen im Portfolio Photovoltaikanlagen installieren. Mieter:innen erhalten dadurch die Möglichkeit, den produzierten „grünen“ Strom kostengünstig für die eigenen Flächen zu beziehen. Durch die Kombination all dieser Faktoren strebt die Aurelis Real Estate bis 2024 eine CO2-Einsparung von jährlich bis zu 25.000 Tonnen an. Zum Vergleich: Jede Einwohnerin und jeder Einwohner Deutschlands produzierte im Jahr 2021 dem Umweltbundesamt zufolge im Schnitt 11,2 Tonnen CO2-Äquivalente durch Wohnen, Ernährung, Mobilität und sonstigen Konsum.

Noch viel Luft nach oben

Eine im Mai 2022 veröffentlichte Umfrage der WISAG AG mit Property- und Facility-Managern zeigt, dass es in der Breite noch viel zu tun gibt. Während zwar 72 % der befragten Unternehmen damit beauftragt wurden, den Energieverbrauch zu optimieren und 64 % sich um ein effizienteres Abfallmanagement kümmerten, wurden weitere Leistungen in Sachen Nachhaltigkeit seltener umgesetzt: Nur die Hälfte der Befragten war mit dem Einkauf nachhaltiger Verbrauchsmaterialien beauftragt worden, 45 % mit dem Monitoring des Wasserverbrauchs und nur 30 % mit der konsequenten Instandhaltung von Wärme- und Kälteanlagen. Hier dürfte jedoch der steigende Handlungsdruck einer nachhaltigen Bewirtschaftung im Sinne der ökologischen ESG-Kriterien dafür sorgen, dass sich in den kommenden Jahren zahlreiche Fortschritte einstellen werden.

Fazit: Je besser der Bestand, desto weniger muss gebaut werden

Je schneller und konsequenter wir unsere Bestände ertüchtigen und gleichzeitig für die vielfältigen Nutzungsanforderungen moderner Gewerbemieter vorbereiten, desto schneller erreichen wir die ambitionierten Ziele des Pariser Abkommens. Dabei geht es aber um mehr, als nur die Verbräuche bestehender Immobilien zu mindern, sondern auch darum, die Versiegelung weiterer Freiflächen zu bremsen und das Neubauvolumen zu senken.