Stadt & Quartier
Architektursoziologie: Was Räume über uns aussagen
Erinnern Sie sich an das Wohnzimmer Ihrer Eltern? Vergleichen Sie es einmal mit Ihrem eigenen. Dieses simple gedankliche Experiment zeigt, dass die eigene Geschichte, der soziale Hintergrund, der jeweilige Zeitgeist und die kulturelle Einbettung deutliche Auswirkungen darauf haben, in welchen Räumen wir uns wohlfühlen und wie wir diese gestalten. Diese Zusammenhänge beschränken sich aber keinesfalls nur auf Einzelpersonen. Auch Stadtviertel und ganze Städte sind entsprechend geprägt und unterliegen ihrer eigenen Logik. Falls Sie sich übrigens einmal gefragt haben, warum Sie persönlich eine Stadt auf den ersten Blick mögen oder nicht – dies könnte die Antwort sein.
Die Eigenlogik einer Stadt beginnt bei politischen und wirtschaftlichen Großstrukturen. Im Ruhrgebiet gibt es beispielsweise klassische SPD-Städte, die damit einhergehend ihre Tradition des Bergbaus in Ehren halten. Etwas anders sieht es in den deutschen Autostädten wie Stuttgart aus, in denen das Streben nach technologischem Fortschritt der maßgebliche Motor für die eigene wirtschaftliche Entwicklung ist. Selbst wenn sich die lokalen Wirtschaftsstrukturen wandeln oder ein politischer Richtungswechsel eintritt, bleiben viele der bisherigen Routinen erhalten, die das Profil der jeweiligen Stadt auch weiterhin prägen.
Die Eigenlogik bestimmt, wie wir arbeiten
Die Eigenlogik ist auch für die Immobilienbranche äußerst relevant. Sie ist eine der Ursachen dafür, warum manche Städte eher unternehmerfreundlich agieren und andere den Fokus klar auf den Arbeitnehmer legen. Auch die Ausweisung von Bauland für bestimmte Immobilientypen an bestimmten Mikrostandorten kann davon durchaus betroffen sein.
Die Wechselwirkungen gehen aber noch deutlich tiefer: Die jeweilige Kultur einer Stadt sorgt dafür, dass auf subjektiver Ebene ganz unterschiedliche Beziehungen zu Zeit- und auch Mobilitätsstrukturen herrschen: Während in Dortmund häufig die Vergangenheit im Fokus der Bewohner steht und Lösungen oftmals auf Basis des Altbewährten entstehen, suchen viele Frankfurter nach immer neuen Lösungen. Unsere Forschung hat darüber hinaus ergeben, dass das Auswirkungen auf die Arbeitsstrukturen am jeweiligen Standort – und damit auf die Flächenbedürfnisse von Unternehmen – hat. Während die Frankfurter ihre Räume häufiger so organisieren, dass ein möglichst zeitsparendes Arbeiten ermöglicht wird, achten Dortmunder Unternehmen tendenziell eher darauf, den zur Verfügung stehenden Raum optimal gemeinsam zu nutzen.
Genauso unterschiedlich fällt die Verkehrssituation der Städte aus, die wiederum mit der Kultur und der jeweils vorherrschenden politischen Grundhaltung korreliert: Wie gut ist der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut? Wo gilt es nach wie vor als schick und effizient, das eigene Auto zu benutzen? Wo fahren auch vermögende Menschen lieber U-Bahn oder Bus? Wo sind die Menschen bereit, ihr Auto mit anderen zu teilen? Für Immobilienunternehmen ist dies nicht nur im Hinblick darauf relevant, wie die Mitarbeiter der potenziellen Mieter zum Standort gelangen und welche Wege sie überhaupt auf sich nehmen wollen. Das Wachstum – oder eben der Wachstumsstau – beim Linienausbau ist auch ein wichtiger Indikator für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Städte selbst.
Digitale und globale Umbrüche prägen die Räume
Obwohl die zurückliegenden Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte die gegenwärtige Logik der Stadt maßgeblich prägen, sind die Profile der Städte jedoch keinesfalls in Stein gemeißelt. Besonders die beiden Megatrends Globalisierung und Digitalisierung haben dafür gesorgt, dass sich das Verhältnis der Menschen zu den Räumen, die sie umgeben, systematisch wandelt – wovon auch die Stadtstrukturen maßgeblich betroffen sind. Wir konnten wissenschaftlich feststellen, dass Menschen in Deutschland bis in die 1990er-Jahre hinein das Gefühl hatten, in einem sie umgebenden Raum zu leben. Heute hingegen wird der Raum von vielen nicht mehr als Einheit, sondern gewissermaßen als Netzwerk erlebt: Viele kleine Teilräume, „Inseln“, sind miteinander verbunden und stehen miteinander in gedanklichem, aber nicht notwendigerweise in einem territorialen Zusammenhang. Anschauliches Beispiel: der Skype-Anruf an die Freundin, die für drei Monate in Australien arbeitet. Welche Auswirkungen das in weiterer Zukunft haben wird, lässt sich bisher kaum abschätzen.
Für Gewerbeimmobilien kann es sinnvoll sein, zusätzliche Räume zu schaffen, die nichts mit den eigentlichen Arbeitsprozessen zu tun haben.
Prof. Dr. Martina Löw, Technische Universität Berlin
Damit verbunden ist auch, dass sich der Verdacht erhärtet, dass gerade für jüngere Menschen die eigene Wohnung tendenziell an Bedeutung verliert. Die Fragestellung, wie diese Entwicklung verläuft, muss noch genauer beantwortet werden; dennoch zeigt sich ein klares Bild: Die eigenen vier Wände wandeln sich zu einem von mehreren Aufenthaltsorten innerhalb der Stadt. Die übrigen Räume, in denen sich der Mensch aufhält, gewinnen dadurch an Relevanz.
Für Gewerbeimmobilien bedeutet dies, dass es sinnvoll sein kann, zusätzliche Räume zu schaffen, die nichts mit den eigentlichen Arbeitsprozessen zu tun haben. Am konkreten Fall von Gewerbeparks zeigt sich diese Entwicklung relativ gut: Wenn ein Fitnessstudio oder eine Kantine auf dem Areal entsteht, wirkt dies auch auf die veränderten Raum- und Stadtstrukturen ein. Oder anders gesagt – der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin bleibt in der Nähe und muss nicht erst durch die Stadt fahren, um Sport zu treiben.
Einheitslösungen greifen zu kurz
Aber auch im Digitalzeitalter ist die Logik des jeweiligen Stadtteils oder der Stadt maßgeblich dafür entscheidend, welche Angebote tatsächlich wahrgenommen werden. An einem Ort, dessen Eigenlogik von Gesundheits- und Körperkultur geprägt ist, haben die Mitarbeiter eher den Anspruch, dass ein Fitnessstudio direkt vom Arbeitsplatz aus erreichbar sein muss. An Standorten, die weniger stark davon geprägt sind, dürften die Trainingsgeräte im Umkehrschluss weniger Interessenten anlocken. Gleiches gilt beispielsweise für das Design und Menü der Kantine.
Wenn immer mehr Immobilienentwickler dazu übergehen, ihre Konzepte von einem auf den anderen Standort zu übertragen, sollten sie diese komplexen kulturellen, verkehrsbezogenen und wirtschaftlichen Wechselwirkungen berücksichtigen. Ein Immobilienkonzept, das in Stadt A alle Erwartungen der Eigentümer und Mieter erfüllt, kann sich in Stadt B schnell als Ladenhüter herausstellen. Statt einer reinen Reproduktion der Immobilie sollten daher einige der Merkmale an die jeweilige Logik der Stadt angepasst werden.
Zwar ist es prinzipiell möglich, einen Standort mit neuen Ideen zu prägen – sie müssen aber bei den Anwohnern beziehungsweise den Berufstätigen auf fruchtbaren Boden treffen. Bestes Beispiel hierfür ist die Frage nach dem Design der Immobilie. Auch ehemalige Industriestandorte, an denen lange Zeit eher funktional gebaut wurde, eignen sich für eine Immobilienentwicklung mit ungewöhnlichem Design – aber nur dann, wenn die Erwartungen an deren Funktionalität erfüllt werden. Gelingt dies, kann ein Immobilienprojekt besondere Akzente setzen und zur Quartiersentwicklung beitragen – egal, ob es sich um Wohn- oder Gewerbeeinheiten handelt.