Stadt & Quartier
Im Reich der Mitte ist auch kein Platz
Wer sich hierzulande über die Flächenknappheit in den Großstädten beschwert, hat aus chinesischer Sicht ein Luxusproblem: In der Kernstadt von Shanghai liegt die Bevölkerungsdichte bei mehr als 7.200 Einwohnern je Quadratkilometer – beinahe doppelt so hoch wie in Berlin. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung in den chinesischen Ballungszentren immer weiter, und auch der Verkehr nimmt Tag für Tag zu. Wie lautet die stadtplanerische Antwort auf diese Entwicklungen? Entgegen der Erwartungshaltung mancher Europäer lautet die asiatische Antwort auf das Thema Flächenknappheit nicht ausschließlich „noch höher, noch dichter, noch enger“.
Vielmehr reagieren die asiatischen Städteplaner mit einer Kombination aus hoher Flächendichte und guter Erschließungsqualität für den öffentlichen, meist schienengebundenen Nahverkehr. Das „Transit Oriented Development“ (TOD) wird hierbei nicht nur referiert, sondern planerisch umgesetzt.
Ebenfalls wichtig zu wissen ist, dass chinesische Stadtplaner – entgegen aller Klischees – ein hohes Augenmerk auf die Qualität des öffentlichen Raums legen. Dieser wird meistens schon entwickelt, bevor die ersten Häuser stehen.
Zwei Voraussetzungen: Pioniergeist und Lernbereitschaft
Die modernen chinesischen Immobilienkonzepte sind zudem stark von Nutzungsmischungen geprägt, die eine viel höhere Flächeneffizienz ermöglichen als Monokulturen – nicht nur im Quartier, sondern auch im Gebäude selbst. Wichtig ist dafür nicht nur eine offene Grundhaltung und die Bereitschaft, innovative Ansätze zu wagen, sondern zudem ein Baurecht, das flexible Flächenverhältnisse zulässt. Anstatt eine Überregulierung zu schaffen, ermutigt der Gesetzgeber die in China aktiven Immobilienentwickler, neue Wege zu beschreiten. Auch dank moderner nichtstörender Produktionsprozesse existieren inzwischen ideale Voraussetzungen dafür, gewerbliche Arbeitsplätze und Wohneinheiten näher zusammenzurücken und eine nachhaltige Nutzungsdichte zu erreichen.
Wie bei so vielen Themen hat man in China relativ schnell aus den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit gelernt und Fehler korrigiert. Das gilt nicht nur für die Verantwortlichen aus Politik und Kommunen, sondern auch für die lokal aktiven Entwickler. Einen solchen Lernprozess haben auch wir mit unseren Projekten durchlaufen: An der von uns gebauten Siedlung „Anting New Town“, die etwa 50.000 Einwohner umfasst und als Entlastungsstadt für den Großraum Shanghai geplant wurde, zeigt sich dies deutlich. Vom ausgeschriebenen Wettbewerb bis zum Baubeginn 2001 verging weniger als ein Jahr. Die „Kleinstadt“ wurde in direkter Nähe zu einem Volkswagen-Werk errichtet, um Synergien zwischen Wohn- und Gewerbenutzungen sowie kurze Wege zu schaffen. Die Flächen sind so konzipiert, dass sich eine verträgliche Dichte mit einer räumlichen Nähe zwischen Wohnen und Arbeiten ergänzt.
Die Schonung von Grund und Boden wird durch das eng gefasste Planungsrecht behindert statt gefördert.
Friedbert Greif, Geschäftsführender Gesellschafter, AS+P Albert Speer + Partner GmbH
Allerdings zeigt sich an diesem Projekt auch, was passieren kann, wenn Abstriche beim Verkehrskonzept in Kauf genommen werden. Die ursprünglich fest eingeplante Anbindung an den öffentlichen Schienennahverkehr wurde nicht realisiert, was verheerend für die Akzeptanz unter den Anwohnern und damit für die Entwicklung des Standorts war. Erst in den vergangenen fünf Jahren – nachdem die Bahnstrecke nun doch erweitert wurde – hat Anting den Turnaround geschafft.
Ein enges rechtliches Korsett hindert die Entwickler in Deutschland
Wer diese Beispiele mit den Gegebenheiten in Deutschland vergleicht, erkennt schnell: Die Schonung der so wichtigen natürlichen Ressource Grund und Boden wird durch das eng gefasste Planungsrecht behindert statt gefördert.
Zweifellos: Die chinesische Gesetzgebung und politische Praxis ist per se keinesfalls ein wünschenswertes Vorbild für Deutschland. Zudem dürfen die vom Baurecht geforderten „gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ in keiner Weise gefährdet werden. Dennoch wäre es hierzulande wünschenswert, bei Baurechtsthemen eine höhere Flexibilität an den Tag zu legen. Denn eine allzu pedantische Anwendung der Richtlinien führt zur Gefährdung eines anderen Grundsatzes desselben deutschen Gesetzestexts, nämlich eine „menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen“. Das tun wir gerade nicht, wenn wir theoretischen Abstandsformeln folgen und mit manchen Nutzungen die integrierten Lagen in Richtung grüne Wiese verlassen müssen. Letztlich senkt eine solche Auflage also die urbane Lebensqualität, anstatt sie zu erhöhen. Darüber hinaus sind es gerade die sehr eng bebauten und durchmischten Gründerzeit-Stadtviertel, die sich auch in München größter Beliebtheit bei den Bewohnern erfreuen.
Fazit: Den Diskurs nachschärfen
Für die deutsche Stadtplanung sollte es keineswegs darum gehen, die in China realisierten Konzepte eins zu eins zu übernehmen. Dennoch lassen sich aus den Projekten des Transit Oriented Development in Verbindung mit einer gesunden Nutzungsmischung viele Schlüsse ziehen, wie wir hierzulande mit dem Thema Dichte umgehen können. Denn grundsätzlich verfolgen die deutschen Kommunen bereits seit Längerem den Leitsatz, konsequent innerstädtisch nachzuverdichten. In München beispielsweise existiert seit mehr als 20 Jahren die Städtebau-Prämisse „kompakt, urban, grün“.
Diese Leitlinien sollten neu interpretiert und vor allem rechtlich neu ausgelegt werden, auch unter Einbezug von Zukunftsthemen wie Urban Production and Manufacturing, Future Mobility, Smart City und anderen technologischen Errungenschaften, die das Arbeiten und Wohnen in den modernen Städten prägen. Es geht darum, diese Punkte stärker in die Diskussion und in die Planung einzubeziehen. Selbst wenn Ausprobieren bedeutet, dass am Anfang Fehler gemacht werden. Aus denen kann man nach und nach lernen.