Vorstadtviertel im Norden von Austin im Vorort Round Rock

Warum die Kommune mit im Boot sitzen sollte

Foto Jörg Knieling
Professor Jörg Knieling lehrt und forscht an der HafenCity Universität Hamburg zu Leitbildern und Strategien einer nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung.

Dabei spielen auch die Mittelzentren im Speckgürtel der Großstädte eine wichtige Rolle. In seinem Beitrag erläutert er, warum gerade die Arbeitsplatzsituation ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität im Stadtumland ist – und wie sich Kommunen in die Planung einbringen sollten.

Seit einigen Jahrzehnten haben Leitbilder der Stadtentwicklung wieder Hochkonjunktur. Visionen wurden zunächst vor allem für die Metropolen entwickelt, später auch für viele weitere Städte, die ihr Profil schärfen und ihre Attraktivität steigern wollten. Sie streben damit danach, im Wettbewerb der Standorte besser zu bestehen und zugleich die Identifikation und Zufriedenheit der Bevölkerung mit der eigenen Stadt zu erhöhen.

Doch auch das Umland und die Mittelzentren in den Speckgürteln der Metropolen brauchen eine weitsichtige Planung, bei der die ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit im Vordergrund steht. Für diese kleineren Städte ist es jedoch oft eine größere Herausforderung, diese Leitbilder zu erarbeiten und dann tatsächlich umzusetzen – denn ihre Planungsämter sind in der Regel noch spärlicher besetzt als in den Metropolen.

Das Umland von Kernstädten bietet attraktive Flächenangebote zu guten Konditionen und mit Wohlfühlcharakter.

Dabei existieren in den Mittelzentren des Umlands ähnliche Herausforderungen: Auch dort ist es wichtig, entlang der zentralen Schienenachsen und vor allem in Bahnhofsnähe eine dichte Bebauung zu erreichen, dabei die vertikale Verdichtung mit einzubeziehen und zudem Konzepte der Nutzungsmischung zu realisieren. Und so wie in Hamburg oder Berlin die Entwicklung reiner Wohn- und Schlafquartiere verhindert werden sollte, muss auch in den zentralen Lagen der Mittelzentren nicht nur gut gewohnt, sondern auch effizient gearbeitet und qualitätsvoll eingekauft werden können. Und das mit so wenig Automobilverkehr wie möglich.

Gutes Jobangebot lockt in die Peripherie

Bei der Lebensqualität müssen Mittelzentren und kleinere Umlandstädte den Millionenstädten in nichts nachstehen. Sie punkten mit ihren Möglichkeiten zur Naherholung, einer guten Luftqualität und viel Grün. Der bedeutendste Minuspunkt ist meist die lokale Jobsituation. Oft muss eben doch in die Innenstädte der Metropolen gependelt werden, was je nach Verkehrsinfrastruktur mit kleineren oder größeren Ärgernissen und negativen Folgen für Umwelt und Gesundheit verbunden ist. Wenn also die Qualität des lokalen Jobangebots wächst, steigt letztlich die Anziehungskraft des Umlands.

Das Umland zieht immer mehr Akademiker*innen, Freiberufler und Kreative an, die Wohnen und Arbeiten auf dem Land als neues Lebenskonzept gewählt haben.

Klassischerweise siedeln sich vor allem flächenintensive Unternehmen in den Mittelzentren beziehungsweise im Umland an, um einerseits kostengünstige Betriebsflächen zu nutzen und andererseits ihren Mitarbeitenden ein preiswertes Wohnen ohne großen Pendelverkehr zu ermöglichen. Unter anderem sind dies Firmen aus dem Logistikbereich, aber auch des produzierenden oder verarbeitenden Gewerbes, denen die geringere Besiedlungsdichte bei ihren Auflagen zu Schadstoff- und Lärmemissionen zugutekommt.

Viele Mittelzentren haben jedoch ein Defizit im Dienstleistungssektor beziehungsweise in Branchen, die hochqualifizierte Fachkräfte erfordern und daher zumeist in den Städten angesiedelt sind. In Zeiten des Wettbewerbs um Talente, in denen sich die High Potentials die Unternehmen aussuchen können, bei denen sie arbeiten möchten, kann sich daran nur dann etwas ändern, wenn auch in den Mittelzentren moderne Gewerbeflächen entstehen, die mit den Konzepten der New Work kompatibel sind. So können Coworking-Spaces in Umlandstädten durchaus interessant sein: Hier muss der Anbieter keine Mieten wie in den A-Lagen der Topstädte bezahlen und der Nutzer kann von seiner Wohnung zum kreativen Austausch ins Büro spazieren. Das heißt, wenn die Stadt die Voraussetzungen für eine moderne Innovationskultur schafft und wenn interessante Flächenangebote bestehen, kann das Umland einen Teil derjenigen Fachkräfte zurückgewinnen, die zuvor als Bildungsmigranten in die großen Städte gezogen sind.

Die Anbindung an die Kernstadt wird durch eine gute Verkehrsinfrastruktur gesichert.

Innovative Impulse auch beim Wohnen nötig

Das klassische Einfamilienhaus, das im Umland nach wie vor gang und gäbe ist, passt zu diesen Konzepten nicht mehr, im Gegenteil wird dadurch Fläche als Entwicklungspotenzial verschenkt. Auch kleine Kommunen würden sehr profitieren von dichter bebauten Quartieren mit gemischter Nutzung in Lagen, die durch den ÖPNV gut erschlossen sind. Dabei müssen nicht immer alle Nutzungen vertreten sein, die unter dem Schlagwort „Integrierte Quartiersentwicklung“ in den Metropolen entstehen. Es ist aber Aufgabe der Kommunen und Projektentwickler, die vorhandenen Qualitäten im Hinblick auf die Realisierung moderner Wohn- und Gewerbeflächen stärker auszunutzen. Neben Neubauprojekten ist dies besonders auch durch die Revitalisierung von Industriebrachen in Verbindung mit innovativen Ansätzen des Upcyclings möglich. Gerade dieser Ansatz lockt vor allem kreative Köpfe und Querdenkende an – sofern attraktive Arbeits- und Wohnprojekte entstehen.

Das Umland kann einen Teil der Fachkräfte aus den großen Städten zurückgewinnen.

Prof. Dr. Jörg Knieling, Leiter des Fachgebiets Stadtplanung und Regionalentwicklung der HCU Hamburg
Trend zur Suburbanisierung: vollwertige Alternative zum Leben und Arbeiten in der Stadt.

Kooperationen mit der Privatwirtschaft für den Speckgürtel

Damit genau das passiert, sollte zwischen Wirtschaft, Immobilienwirtschaft und Kommunen mehr als nur der immer wieder geforderte „Dialog auf Augenhöhe“ stattfinden. Möglich sind Kooperationsformen als Joint Venture, bei denen Areale unter Mitwirkung der wichtigen lokalen Unternehmen genau entlang der Bedarfssituation entwickelt werden. Dies sind auch Start-up-Zentren und Coworking-Spaces, deren Kreativität und Innovation für alteingesessene Betriebe Impulse bringen kann. Die Kommune wird also direkt mit ins Boot geholt. Während die Kommune ihre stadtplanerischen Leitbilder umsetzt und die Projektentwickler ihre Erfahrungen einbringen, sorgt das Unternehmen dafür, dass neue Arbeitsplätze in der Gemeinde entstehen und die Flächen so ausfallen, wie sie für die eigenen Prozesse nötig sind. Auf diese Weise können Unternehmen ihre eigenen Strukturen transformieren, um auch im Digitalzeitalter zukunftsfähig zu bleiben.

Unterstützen – nicht abwerben

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Punkt ist die Kooperationskultur und eine angemessene Kommunikationsarbeit für solche Projekte und Initiativen. Es gibt immer wieder Beispiele, bei denen kleinere Städte in einen aggressiven Wettbewerb zur Metropole treten. Der Tenor indes sollte nicht lauten: „Kommen Sie zu uns, hier ist es schöner und günstiger!“ Vielmehr geht es um ein funktionierendes Gesamtgefüge: eine Region, in der Menschen entscheiden können, ob sie Überschaubarkeit und naturnahe Umgebung oder das Großstadtleben vorziehen und unabhängig von dieser Entscheidung möglichst wenig vermissen müssen. Gemeinsam können sich Stadt und Umland attraktiver in Szene setzen. Dies bringt Vorteile für beide Seiten und für eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung.