Zukunftstrends
Dokumentenrolle oder Tablet
Wie digital wird hierzulande gebaut?
Florian Schilcher ist viel auf Baustellen unterwegs. Er arbeitet bei APOprojekt – das Unternehmen plant und realisiert Büroinnenräume für neue Mieter. Schilcher hat dabei die Haltung, „dass wir nicht mit Stift und Papier durch eine 30.000-Quadratmeter-Fläche laufen und aufschreiben, welche Sockelleisten am Ende noch fehlen oder mangelhaft sind.“ Statt Papier und Stift würden mobile Endgeräte genutzt – in Verbindung mit entsprechenden Online-Tools, die für die Baustellendokumentation sowie zur Abrechnung und Kommunikation mit den Nachunternehmern dienen.
Die Regel sind solche Tools in der deutschen Immobilienwirtschaft aber offensichtlich noch keineswegs: Im internationalen Vergleich gelten wir mit Blick auf Ist-Stand und Rahmenbedingungen der Digitalisierung als durchschnittlich oder sogar unterdurchschnittlich. Zu dem Ergebnis gelangen verschiedene Studien, beispielsweise die dritte Digitalisierungsstudie des ZIA 1. Und auch im Branchenvergleich innerhalb Deutschlands gilt: Die Immobilienwirtschaft ist in puncto Digitalisierung nur Mittelmaß. Das bestätigt zum Beispiel die Deutsche Telekom in entsprechenden Studien. Die Bauwirtschaft erreicht dort 51 von 100 möglichen Punkten. Die Grundstücks- und Wohnungswirtschaft kommt auf 55 Punkte. Zum Vergleich: Banken und Versicherungen liegen bei 64 Punkten 2.
Aufholen nach langer Abstinenz
Umgekehrt könnte man auch sagen: immerhin Mittelmaß. „Wir haben uns ja überhaupt erst einmal dorthin vorkämpfen müssen“, sagt Norbert Preuß. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter bei PREUSS Project Partner und blickt auf jahrelange Expertise unter anderem bei der Realisierung von Großprojekten zurück. „Die Branche hat sich lange gegen die Digitalisierung gesträubt, aber spätestens seit fünf Jahren passiert sehr viel.“ Und das nicht nur punktuell: Planung, Bauen, Vermieten, Vermarkten, Betreiben, Veräußern – in der
Wertschöpfungskette rund um die Immobilie finden sich in jedem Baustein mittlerweile Beispiele für digital unterstützte Prozesse oder Lösungen, die alte Strukturen aufbrechen.
Preuß nennt Building Information Modeling (BIM) als eine solche Lösung. Dabei handelt es sich um ein gesamthaftes Datenmodell, auf das alle Planungs- und Baubeteiligten transparent und jederzeit aktuellen Zugriff haben. Ein dreidimensionaler, digitaler Zwilling des physischen Gebäudes und zugleich ein Kommunikationsinstrument für alle involvierten Parteien. Anders als bei klassischen 3D-Planungsmodellen werden zu den jeweiligen Bauteilen Informationen hinterlegt – beispielsweise zur Brandschutzklasse sowie zu den Maßen und Massen.
„Ich bin mir sicher, dass BIM der Weg ist.“
Norbert Preuß, Geschäftsführender Gesellschafter PREUSS Project Partner
Kollisionen vermeiden
„Die Vorteile von BIM sind, dass Kollisionen zwischen den Planungsdisziplinen reduziert werden. Das liegt einerseits an der unmittelbaren Verfügbarkeit von Daten, andererseits im automatisierten Ausspielen von Konflikten im Entwurf und Baufortschritt“, sagt Preuß. Dadurch werde die Planungs-, vor allem aber die Realisierungseffizienz erhöht. Preuß zufolge sind die bauausführenden Unternehmen die maßgeblichen Treiber, teilweise auch die Haustechnikfirmen. „Sie wollen bessere Planungsstände, um selbst zielgerichteter agieren zu können.“ Ob Bauherren das Thema forcieren, hängt Preuß zufolge vom Einzelfall ab. „Bauherren, die nur selten oder gar einmalig Immobilien errichten, werden kaum auf BIM setzen. Wenn es sich aber um einen Bauherren handelt, der wiederholt die Vorteile von BIM für seine Projekte nutzen kann, dann ist er eher bereit, darin zu investieren.“ Auch wenn der Druck nicht von allen Seiten gleichermaßen komme: Grundsätzlich befassten sich alle Planungs- und Baubeteiligten mit dem Thema. „Ich bin mir sicher, dass das der Weg ist“, ist Preuß überzeugt.
Hochkonjunktur als Hindernis
Gegenwärtig sei jedoch die Hochkonjunktur noch eines der Hindernisse. Die Kapazitäten aller Unternehmen seien ausgeschöpft. „Für die Wahl eines Bau- und Planungspartners ist derzeit nicht die Frage entscheidend, ob jemand ausreichende BIM-Kompetenzen mitbringt, sondern ob er überhaupt Zeit und Personal für ein Projekt hat.“ Weitere Hürden: Es gibt noch keine verlustfrei arbeitenden Schnittstellen. Insofern gebe es auch noch einen erheblichen Entwicklungsbedarf bei der Software selbst. Zudem sei der Schulungsbedarf für die Anwender weiterhin groß, die betreffenden Mitarbeiter müssten im Rahmen eines Change-Management-Prozesses unterstützt werden. Der Datenschutz oder Fragen des Urheberrechts in der Planung seien dagegen keine Hürden. „Ich sehe darin nicht die Probleme, von denen viele reden“, meint Preuß.
Katalysator-Funktion möglich
Insgesamt gilt natürlich: BIM ist kein Allheilmittel, so wie die Digitalisierung als solche keines ist. Projekte mit BIM-Unterstützung können ebenso scheitern wie jedes andere. Das System entbindet Planer und Projektmanager nicht von ihrer Verantwortung, und der Bauherr wird weiterhin Entscheider sein wollen und müssen – BIM ersetzt keine Entscheidungen, ist aber eine wichtige Hilfe dabei. Außerdem kann das System ein Katalysator sein für flankierende und weiterführende Technologien: Sofern in einem Gebäude die entsprechende Sensorik eingebaut wird, können auch Themen wie die vorausschauende Wartung von Bauteilen vorangebracht werden. Vom Aufzug in einer Büroimmobilie bis zur Produktionsstraße in der Industrie: Werden Daten beispielsweise über Temperatur, Druck, Vibration, Verbrauchsstände oder Töne automatisch übermittelt und in einem System auswertbar gebündelt, lassen sich die Ausfallzeiten anhand von lernenden Algorithmen reduzieren.
Voraussetzungen für einen effizienten Betrieb
Spätestens hierbei zeigt sich, dass auch das Facility-Management großes Interesse an BIM hat. „Der Betrieb sollte von Anfang an ein Thema sein“, sagt Preuß. Bereits während der Bauphase kann die digitale Grundlage für eine effiziente Verwaltung geschaffen werden: Wenn später eine vollautomatische Meldung erfolgt, dass der Austausch einer Komponente unmittelbar bevorsteht, kann der zuständige Techniker gezielt beauftragt werden – anstatt via „Trial and Error“ erst einmal festzustellen, welches Gerät überhaupt betroffen ist. Gerade auf großflächigen Arealen mit unterschiedlichen Gebäuden, auf denen viel Gebäudetechnik eingesetzt wird, kann sich dies lohnen: Instandsetzungsmaßnahmen können schneller und gezielter umgesetzt werden.
Es gibt inzwischen viele Möglichkeiten, digitale Tools zu nutzen. So können Gebäudedaten direkt in eine Online-Mieterplattform übertragen werden, um die Mieterbetreuung noch effizienter zu gestalten. Immerhin prognostizieren viele Experten, dass es sich bei der klassischen E-Mail-Anfrage um ein digitales Auslaufmodell handelt. Stattdessen können Mieter Tickets mit ihren Anliegen und Wünschen erstellen, die das Facility-Management daraufhin zentral koordiniert und abarbeitet.
Werden perspektivisch beide Ansätze miteinander verbunden, kann der Mieter auch über den Fortschritt seiner Anfrage informiert werden und erfährt es, sobald die Reparatur erfolgt ist. Tools wie diese verdeutlichen, dass die Daten, die Experten wie Florian Schilcher hierzulande auf den Baustellen sammeln, eine wichtige Wissensgrundlage sind. Sie zeigen uns nicht nur, wie wir in Zukunft besser bauen, planen und managen können, sondern helfen auch dabei, Mieter und Vermieter noch näher zusammenzubringen.
1 www.zia-deutschland.de/fileadmin/Redaktion/Positionen/zia_ey_digitalisierungsstudie_2018.pdf