Märkte & Meinungen
„Ich sehe den Mittelstand klar im Vorteil“
Herr Unmüßig, kaum ist eine Krise ausgestanden, folgt die nächste – kann man da eine Art Krisenroutine entwickeln?
Ich bin seit 45 Jahren in der Branche aktiv und kenne das Auf und Ab der Märkte. Die Sinuskurve beschreibt diesen zyklischen Verlauf recht gut, wie ich finde. Man muss einfach akzeptieren, dass es nicht immer nur nach oben gehen kann. Im besten Fall kann man der Abwärtsbewegung etwas Positives abgewinnen. Man kommt zur Besinnung und schafft nach einer Phase der Reduktion wieder Raum für Innovationen. Und man kann überprüfen, ob die in der Hochphase getroffenen Entscheidungen die richtigen waren. Krisen können durchaus eine reinigende Wirkung haben. Diese Haltung einzunehmen hat vielleicht tatsächlich etwas von einer Krisenroutine.
Erleben wir gerade eine klassische Talfahrt?
Teils, teils. Bei dieser Krise sehe ich zwei Facetten: die Zinswende als normale wirtschaftliche Zyklusbewegung auf der einen Seite und die Aufeinanderfolge von Pandemie, Rohstoffknappheit und Ukraine-Krieg als abnormes Ereignis auf der anderen Seite. Die Tatsache, dass wichtige Baumaterialien schlichtweg nicht mehr verfügbar sind, rüttelt natürlich mächtig an dem Grundsatz „pacta sunt servanda“. Verträge einzuhalten ist plötzlich keine Selbstverständlichkeit mehr. Ohne Ware lassen sich weder Preise noch Liefertermine festlegen. Entsprechend groß sind die Auswirkungen auf die gesamte Immobilienbranche und die deutlich spürbare Verunsicherung.
Hilft Ihre Erfahrung dabei, mit der momentanen Situation besser umzugehen?
Ja, ich denke schon. Zunächst mal verfüge ich über eine gute Portion Gelassenheit. Ich habe schon Zeiten mit Zinsen bis zu 14 Prozent erlebt. Am starken Marktaufschwung der vergangenen Jahre hat mich mitunter gefuchst, dass so manchem Manager der Erfolg quasi in den Schoß fiel. Oder wie der Schwabe zu sagen pflegt: Die Sahne lief bis vor Kurzem zum Nulltarif ins Kontor. Durchsetzungskraft, Energie sowie andere unternehmerische Tugenden brauchte es gar nicht. Mich als Projektentwickler hat das mitunter traurig gestimmt.
Das heißt, die guten alten Kaufmannstugenden sind wieder gefragt?
Sie sagen es. In Zeiten wie diesen braucht es Demut, Zurückhaltung, Besonnenheit und Umsicht. Jetzt gilt es, wieder mehr Geld einzunehmen als auszugeben, die eigenen Vorzüge herauszuarbeiten, sich gezielt vom Wettbewerb abzugrenzen. Die schlichten Grundlagen des unternehmerischen Denkens zu befolgen und zu verinnerlichen, war und ist für mich ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg.
Lohnt es sich trotz enger Krisentaktung, langfristig zu planen?
Davon bin ich überzeugt und genau so leben wir das bei Unmüssig auch. Ich arbeite gerade an einer ganzen Reihe von Projekten, die weit über meinen biologischen Horizont hinausgehen, die aber für meine Nachkommen in 30 oder 40 Jahren hochrelevant sind. Von daher können wir es uns auch leisten, das Tempo ein wenig zu drosseln und beispielsweise Vergaben etwas in die Zukunft zu schieben. Die gewonnene Zeit nutzen wir, indem wir uns noch intensiver vorbereiten, um Projekte im kommenden Jahr umso hochwertiger umsetzen zu können.
Wer wird gerade im Krisenumfeld in der Branche die Nase vorn haben?
Die Gemengelage aus normalen ökonomischen Phänomenen und Ausnahmefaktoren wird für die Branche zur Nagelprobe, ganz klar. Und da wird sich die für den Mittelstand typische langfristige Ausrichtung bewähren. Die größte Resilienz haben Familienunternehmen. Großunternehmen denken in Dimensionen von Jahres- oder Fünfjahresverträgen. Bei Familienunternehmen steht die jeweils nächste Generation auf den Schultern der vorherigen. Mit einer soliden Geschäftspolitik, die aus dieser Verantwortung entsteht, lassen sich kurzfristige Schocks erfolgreich abfedern und Werte dauerhaft sichern.